Ausgehend von der Theorie des Physikers Thomas Young, daß sich alle Farben aus den drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb mischen lassen, stellt Hayter ein scheibenförmiges Kompendium zusammen, dessen Zentrum schwarz ist. Hayter unterscheidet dabei nicht zwischen additiven Mischungen von Licht und subtraktiven Mischungen von Pigmenten. Wissenschaftshistorisch gesehen fällt Hayters System in eine Zeit, in der der seit Newton währende Streit um die Frage, ob Licht aus Wellen oder aus Teilchen besteht, endgültig entschieden zu sein scheint. Daher an dieser Stelle einige Bemerkungen zu den entsprechenden Forschungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. (Ausführlicher Text)
1826 publizierte der englische Architekt und Maler Charles Hayter (1761-1835) ein Buch, in dem er die von Thomas Young vorgeschlagene Theorie eines Drei-Farben-Systems als praktische Grundlage für die Farbreproduktion empfiehlt. Sein «Kompendium» der Farbe will — so der Untertitel — «beispielhaft die natürlichen und unausweichlichen Konsequenzen der gleichseitigen Vereinigung vorführen, welche sich durch allmähliche und systematische Konzentration der drei Primärfarben nach den Vorschlägen von Leonardo da Vinci ergeben». Hayter schreibt im Vorwort, daß er bereits im Jahre 1813 die als Anleitung für Maler gedachten Diagramme und Erklärungen im Kopf und vor diesem Zeitpunkt nie etwas von Moses Harris gehört oder gesehen hatte, bei dem sich vieles von dem findet, was Hayter nun vorlegt. Es muß auf den Widerspruch hingewiesen werden, daß Hayter als Maler sicher subtraktive Mischungen ordnen will, daß er aber die entsprechenden Vorläufer dieser Richtung nicht zitiert, wohl aber Leonardo, Newton und Young, die alle mehr an additive Systeme gedacht haben.
Hayters Ausgangsdreieck, das aus den drei subtraktiven Primärfarben, Gelb, Rot und Blau, besteht, ist natürlich zu dieser Zeit keine unbekannte Konstruktion mehr, und das schwarze Zentrum kennen wir spätestens auch seit Moses Harris (Abbildung), so daß es schwer fällt, die Originalität Hayters zu beurteilen. Der erste, der die durch Goethe berühmt gewordene Dreiergruppe Gelb-Rot-Blau als (subtraktives) Primärtrio einführte, war der schon oben erwähnte Franzose J. C. Le Blon, und zwar in einer kleinen Schrift, die bereits vor 1731 angefertigt wurde. Gedruckt liegt Le Blons Ansicht über den fundamentalen Charakter seiner Primärfarben seit 1756 unter dem Titel «L’Art D’Imprimer Les Tableaux» vor, in dem er Hinweise über die Verwendung seiner Grundfarben beim Drucken, Weben und Malen gibt. Le Blon ist stolz auf seine Konstruktion, und er weist ausdrücklich darauf hin, daß wohl viele seiner Kollegen gar nicht geglaubt haben, daß es so einfache Regeln der Kunst gebe.
Hayter führt diese Konzeptionen im Detail weiter (vielleicht erfindet er sie auch neu), wobei er seine Mischfarben erläutert. Wir folgen ihm in drei Linien von den primitiven Farben aus. Erst vom Blau nach oben zum Orange, dann vom Rot nach links unten zum Grün und schließlich vom Gelb nach rechts unten zum Purpur.
Vom Blau zum Schwarz in der Mitte taucht dreimal das Wort «slate» auf, also Schiefer, der vermutlich auch damals grau ausgesehen hat. Diese Schieferfarbe gibt es in drei Stufen, als Mischung aus Purpur und Grün, als neutrales und als schattiges Grau. Nach dem Zentrum wird es wieder heller. Hier reiht sich zwischen einem neutralen und einem gelbroten Orange die Mischung aus Braun und Olive.
Das Rot verändert sich zum Zentrum hin über drei Stufen von Braun und schlägt danach in ein Grün um, von dem es eine neutrale, eine olive-graue und eine gelb-blaue Variante gibt. Aus dem Gelb wird die Olivenfarbe, die sich über den neutralen Ton zur Mitte hin verdunkelt und danach als Purpur zum Blaurot verläuft.
Die nebenstehenden Skizzen zeigen, wie ein Durchlaufen des Systems aussehen könnte. Um von einer Farbe zu einer anderen zu gelangen, muß das Zentrum (Schwarz) passiert werden. Die interessante Form stellt wieder die Spirale dar, in der die zirkuläre und die radiale Bewegung koexistieren, in der sich also Singularitäten und Pluralitäten zusammenfinden.
Wissenschaftshistorisch gesehen fällt Hayters System in eine Zeit, in der der seit Newton währende Streit um die Frage, ob Licht aus Wellen oder aus Teilchen besteht, endgültig entschieden zu sein scheint. Zum einen hatte der bereits erwähnte Thomas Young nachgewiesen, daß Lichtstrahlen miteinander interferieren können, wie es technisch heißt. Licht plus Licht kann Dunkelheit ergeben — unter kontrollierten experimentellen Bedingungen -, und diese Eigenschaft der Interferenz ist nur für Wellen geläufig, nicht aber für Teilchen. In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts zeigte zudem der Franzose A. J. Fresnel, daß alle Erscheinungen der Optik verstanden werden können, wenn Licht als eine Schwingung in einem (hypothetischen) Medium aufgefaßt wird, wobei die Richtung der Schwingung senkrecht zur Richtung der Ausbreitung verläuft (transversal). Und dem deutschen Physiker J. von Fraunhofer gelang es 1821 sogar, zum ersten Mal die Längen der Wellen zu bestimmen, aus denen Licht besteht. Er kratzte dazu mit einem Diamanten feine, eng nebeneinanderliegende parallele senkrechte Linien in ein Glas und studiert die Ablenkungen des Lichtes durch ein solches Beugungsgitter, wie es im Jargon heißt. Spätestens seit 1835 konnte dann der Physiker F. M. Schwerd mit Hilfe eines solchen Gitters das Spektrum der Farben genau vermessen und zeigen, daß rotes Licht mit einer kleineren Wellenlänge als blaues Licht ausgestattet ist und gelbes und grünes Licht im mittleren Bereich liegen. (Als Maßeinheit hat sich dafür heute die Größe «Nanometer» durchgesetzt, also 10-9m beziehungsweise 10-7cm, und die Wellenlänge des sichtbaren Lichts liegt im Bereich von einigen Hundert solcher Nanometer.)
Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war also die Hochzeit der Wellentheorie. Man konnte sich zum ersten Mal in dem Glauben wiegen, die Natur des Lichts verstanden zu haben. Probleme mit der Wellenvorstellung tauchten erst zu Beginn unseres Jahrhunderts wieder auf. Wir sind sie bis heute nicht losgeworden.
Datierung: Der praktische Ratgeber, wie aus drei Farben alle weiteren erzielt werden können, erscheint 1826 in London.
Herkunft: England
Grundfarben: Rot, Gelb und Blau
Form: Dreieck
Referenzsysteme: Harris — Sowerby — Maxwell — Helmholtz — Pope
Literatur: Ch. Hayter, «A New Practical Treatise on the Three Primitive Colours Assumed as a Perfect System of Rudimentary Information», London 1826; F. Birren, «Principles of Color», New York 1969; W. Spillmann, «Color Systems», in: H. Linton, «Color Consulting», New York 1992, S. 169-183.