In einem schematischen Farbwahrnehmungsraum werden alle Farben nach den Gesetzmäßigkeiten der Empfindung geordnet, also nach Farbton, nach Helligkeit und nach Sättigung. Dabei liegen sechs Buntfarben Gelb, Rot, Magenta, Blau, Cyan und Grün entlang einer Wellenlinie auf dem Mantel eines Zylinders, der nach unten zu Schwarz und nach oben zu Weiß führt. Die Vorstellung einer phylogenetischen (stammesgeschichtlichen) Entstehung der Farbempfindlichkeiten, auf der auch das System von Frans Gerritsen in gewisser Hinsicht gründet, geht auf den Physiker Erwin Schrödinger zurück, der sich bereits 1924 Gedanken «Über den Ursprung der Empfindlichkeitskurven des Auges» gemacht hatte, um ein besseres Verständnis für die psychologische Farbordnung zu erlangen. Es folgen noch einige Überlegungen zu den heutigen genetischen Erklärungen der Farbblindheit. (Ausführlicher Text)
Der Holländer J. Frans Gerritsen stellt im Jahre 1975 einen neuen Versuch vor, die Farben nach den Gesetzen unserer Farbempfindung zu ordnen. Er wählt dazu drei Variable — Farbton, Helligkeit und Sättigung -, die wie im Coloroid-System einen Zylinder aufspannen, auf dessen Mantel eine unregelmäßige Wellenlinie verläuft. Sie kommt durch kreisförmig angeordnete Farbtöne und ihre abwechselnd höher und niedriger liegende Eigenhelligkeit zustande.
Der Farbkreis besteht aus sechs sogenannten Vollfarben — die Gerritsen mit Gelb, Rot, Magenta, Blau, Cyan und Grün bezeichnet -, und die so angeordnet sind, daß sich die komplementären Paare diametral gegenüberliegen. Dabei wechseln sich drei hellere und drei dunklere Farben ab. So finden alle denkbar möglichen Primär- und Sekundärfarben ihren Platz auf dem Zylindermantel sowie auf der Wellenlinie. Gerritsen bezeichnet die unbunten Farben von Weiß über alle Graustufen nach Schwarz als Tertiärfarben. Sie bilden die Helligkeitsachse des Farbzylinders, dem die schematische Einteilung von A bis J gegeben wird. Die zweite Illustration zeigt einen vertikalen beziehungsweise horizontalen Schnitt durch den Farbwahrnehmungsraum, der links dargestellt ist. Horizontale Schnitte zeigen Farben gleicher Helligkeit.
Gerritsen wollte mit seinem Modell einige der alten Gesetze wiederfinden, wie er in seiner «Entwicklung der Farbenlehre» schreibt (1984): «Wie bei den Griechen sind hier die Farben wieder ihrem eigenen Helligkeitsgrad zwischen Schwarz und Weiß eingeordnet. Die «Mischfarbe» Rot zwischen Schwarz und Weiß, wie man früher glaubte, finden wir auf dem äußeren Umfang zwischen Schwarz und Weiß. Die Newtonschen Farben des Tageslichtspektrums erhalten ihren richtigen Platz. Die Grundfarben, drei hellere und drei dunklere, wechseln einander ab, wie in dem Farbschema von Maxwell. Die unregelmäßige Wellenlinie auf dem Zylindermantel entlang der Eigenhelligkeit der Vollfarben erlaubt gleich große Helligkeits- und Farbstufen.»
Gerritsen wählt sein System zudem so, daß die Opponenten-Werte Schwarz-Weiß, Blau-Gelb und Grün-Rot als Signalübertragung beim Farbensehen ersichtlich werden. Er hat dabei klare Vorstellungen darüber, wie sich das Sehen im Laufe des Lebens entwickelt hat. Auf einer ersten Stufe konnte nur Hell-Dunkel-Information aufgenommen werden, und es gab nur das eine Opponenten-Signal Schwarz-Weiß. Aus ihm entwickelte sich in einem zweiten Schritt eine Empfindlichkeit für das Opponenten-Signal Blau-Gelb, dem in einer dritten Stufe eine Differenzierbarkeit für das Opponenten-Signal Rot-Grün folgte. Dabei wird Gelb für das Farbenpaar Rot-Grün dasselbe wie Weiß für das Farbenpaar Blau-Gelb, nämlich sein neutraler Übergangspunkt. Diese Vorstellung über die phylogenetische (stammesgeschichtliche) Entstehung der Farbempfindlichkeiten geht auf den Physiker Erwin Schrödinger zurück, der sich bereits 1924 Gedanken «Über den Ursprung der Empfindlichkeitskurven des Auges» gemacht hatte, um ein besseres Verständnis für die psychologische Farbordnung zu erlangen. Schrödinger macht auf diese Weise nicht nur verständlich, daß Weiß und Gelb «echte Grundempfindungen» sind — die eine aus dem monochromatischen, die andere aus dem dichromatischen Stadium der Entwicklung -, er kann damit auch erklären, warum die weitaus häufigste Störung der normalen Farbtüchtigkeit des menschlichen Auges die Rot-Grünblindheit ist. Sie entspräche einem Atavismus des Tagessehapparates der ersten Art.
Inzwischen können Wissenschaftler das Auftreten der Farbblindheit aus einer anderen Perspektive erklären. Es handelt sich um den Blick von der genetischen Ebene aus. Die moderne Biologie hat nämlich einige Gene identifiziert, die zum Farbensehen beitragen, und zwar die Gene, die — genauer gesagt — die biologischen Informationen für die Farbpigmente enthalten, die im Auge das Licht empfangen und weiterleiten. Drei verschiedene Gene konnten gefunden werden, die für drei Pigmente zuständig sind, für das Blau-, das Grün- und das Rotpigment. Der Kürze halber soll dafür hier von Blau-, Rot- und Grüngenen die Rede sein.
Während das Blaugen isoliert von den beiden übrigen weit getrennt im genetischen Material der Zelle untergebracht ist, liegen das Rot- und das Grüngen nebeneinander. Dies hat zur Folge, daß sie sich bei der Zellteilung durch herkömmliche genetische Mechanismen («Crossing over») vermischen und dabei unwirksam machen können. Die Wahrscheinlichkeit dafür wird noch durch die überraschende Tatsache erhöht, daß es mehrere Exemplare des Grüngens gibt (während jeweils nur eine Kopie des Blau- und Rotgens angetroffen wird.)
Rot-Grünblindheit kann also genetisch gut erklärt werden, und die Verteilung der drei Gene für das Farbensehen und ihre inzwischen im Detail aufgeklärte Struktur lassen den Schluß zu, daß die oben vorgestellte Deutung der Farbpolaritäten und ihre Entstehung mit den molekularen Tatsachen vereinbar ist. Die Polaritäten mit ihrem Umschlag bei Weiß und Gelb wären also gleichsam Atavismen der Empfindung.
Datierung: Das nach den Gesetzen der Farbempfindung konstruierte Diagramm stammt aus dem Jahre 1975.
Herkunft: Holland
Grundfarben: Sechs «Vollfarben»: Gelb, Rot, Magenta, Blau, Cyan und Grün
Form: Modifizierter Zylinder
Referenzsysteme: Newton — Coloroid — Maxwell
Literatur: F. Gerritsen, «Entwicklung der Farbenlehre», Göttingen 1984.