Farben müssen Namen haben, und die Annahme, daß Farbbezeichnungen selbst eine Ordnung etablieren können, hat sicher ihre Berechtigung. Das Ziel des Systems besteht darin, einzelnen Blöcken des Farbsystems von A. H. Munsell präzise Benennungen zuzuordnen, wobei von den gewohnten Wörtern auszugehen ist. Dabei entsteht das vorgestellte Farb-Lexikon. (Ausführlicher Text)
Farben müssen Namen haben, und die Annahme, daß Farbbezeichnungen selbst eine Ordnung etablieren können, hat sicher ihre Berechtigung. Die Amerikaner K. L. Kelly und Deane B. Judd haben zwischen 1955 und 1976 versucht, Farbkörper in immer feinere Blöcke zu zerlegen und sie mit immer genauer unterscheidenden Farbausdrücken zu füllen. Die Abbildung zeigt die im Auftrag des «Inter-Society Color Council» (ISCC) für das «National Bureau of Standards» (NBS) in Washington angefertigte Blockzerlegung, wie sie für das Purpur-Segment durchgeführt wurde. Die eingesetzten Adjektive wurden analog bei den anderen Farben verwendet: Vivid (lebhaft), brilliant, strong (stark), deep (tief), light (hell), dark (dunkel) und pale (blaß). Dabei fällt auf, daß «hell» und «dunkel» nur in der Nähe der neutralen Schwarz-Weiß-Achse und nicht in Regionen hoher Sättigung verwendet werden.
Kelly und Judd definierten die Farbblöcke, in die sie den Farbkörper aufteilten, durch die drei Parameter Hue, Value und Chroma, die der Amerikaner A. H. Munsell zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeführt hatte. Die Farbnamen selbst wurden dabei unabhängig von Munsells System gewählt, wie die Figuren deutlich machen.
Die deskriptiven Ausdrücke, die für die verschiedenen Segmente gewählt wurden, zeigen vor allem, welche subjektiven Variablen der Farberscheinung auftauchen, wenn man sie sich länger vor Augen führt. Es fällt auf, daß Munsells als R4/14 bezeichnete Stufe von Rot ebenso als «vivid» bezeichnet wird wie das entsprechende Ultramarin-Blau, obwohl beide sicher unterschiedlich hell waren. «Vividness» (Lebhaftigkeit) wurde offenbar neben der Tiefe, der Stärke und der Brillanz als bedeutender Parameter gewertet.
Jeder Versuch, mit sprachlichen Mitteln Farben zu ordnen, muß so lange mit Skepsis behandelt werden, solange weder die äußeren Bedingungen des Beobachtens noch die Erfahrungen des Beobachters einzuschätzen sind. Es ist daher nicht verwunderlich, daß das hier vorgestellte generische System wenig akzeptiert wurde.
Die Verbindung zwischen Sprache und Farbe hat natürlich nicht nur das Interesse der Farbmetriker, sondern auch die Aufmerksamkeit der Linguisten und Sprachphilosophen gefunden. Eine ihrer grundlegenden Fragestellungen lautet, ob es das Denken ist, das die Sprache bestimmt, oder ob es die Sprache ist, die das Denken festlegt; Antworten sollten möglich sein, wenn es gelingt, Denken und Sprechen unabhängig voneinander zu beobachten. Wichtig wäre aber dabei vor allem, Daten über das Denken zu finden, die nicht durch das Sprechen selbst beeinflußt werden. Dies gelingt zum Beispiel bei den Farben, denn wie ein Mensch das Spektrum des Prismas aufteilt, kann untersucht werden, ohne ihn zu fragen, also ohne daß Sprache benutzt wird. Und zusätzlich läßt sich nachprüfen, ob verschiedene Sprachen das sichtbare Spektrum verschieden aufteilen. Seit den 50er Jahren haben sich die Linguisten mit dieser Frage befaßt, und der heutige Konsens besagt, daß es unsere Wahrnehmung ist, die dem Spektrum Struktur gibt, und nicht die Sprache. Die Sprache formt nur die von unserer universalen Farbwahrnehmung gesetzten Unterschiede mehr oder weniger vollständig nach. Das Wiedererkennen einer Farbe hängt jedenfalls nicht davon ab, ob wir über ein Wort für sie verfügen.
Im Rahmen dieser Untersuchungen ist eine andere interessante Entdeckung gemacht worden. Die beiden amerikanischen Linguisten Brent Berlin und Paul Kay haben nämlich festgestellt, daß nicht alle Sprachen über die gleiche Anzahl von Grundnamen für die Farben verfügen. Als Grundname wurde ein kurzes Wort akzeptiert, das sowohl nicht weiter zerlegbar als auch nicht als Bezeichnung eines Materials in Gebrauch war. So galten «Gelb» und «Grün» zum Beispiel als Grundnamen, «Dunkelgelb» und «Türkis» aber nicht. Von den knapp 100 untersuchten Sprachen verfügte nun keine über weniger als zwei und keine über mehr als elf solcher Grundnamen. Das entsprechende Farblexikon einer Sprache wird dabei offenbar — so zeigte es die genaue Auswertung — in einer bestimmten Reihenfolge aufgebaut:
Kennt eine Sprache nur zwei Farbwörter, heißen sie Schwarz (beziehungsweise Dunkel) und Weiß (beziehungsweise Hell). Als erstes chromatisches Wort kommt immer Rot hinzu. Der vierte Grundname ist dann Grün oder Gelb, und eine Sprache mit fünf Farbausdrücken verfügt über die Reihe Schwarz, Weiß, Rot, Grün und Gelb. Erst an sechster Stelle erscheint Blau, dem Braun als Nummer Sieben folgt. Bis hierher herrscht hohe Ordnung. Danach ergänzen sich die Farblexika in beliebiger Weise um das Quartett aus Violett, Orange, Rosa und Grau.
Paul Kay vermutet, daß mit dieser Struktur des Farbwortschatzes zugleich die Reihenfolge sichtbar wird, in der die Menschheit ihr Farblexikon angelegt hat. Rot wäre dann nicht unbedingt die erste Farbe gewesen, die unsere Vorfahren gesehen haben. Die Farbe des Blutes wäre aber die erste gewesen, die für unser Überleben von Bedeutung gewesen wäre. Die Erregungen und Reaktionen, die Rot heute noch hervorruft, lassen den Schluß zu, daß der Gedanke nicht so einfach von der Hand zu weisen ist.
Datierung: Inter-Society-Color-Council (ISCC) hat auf Anregung des National Bureau of Standards (NBS) die aufgeführten Farbnamen 1955 vorgeschlagen.
Herkunft: USA
Grundfarben: Bezieht sich auf System von Munsell: Rot, Gelb, Grün, Blau und Purpur
Form: Ein Farbkörper, der in immer feinere Blöcke zerlegt wird
Anwendung: Ein linguistisches System, das den Farben Namen zuordnet
Referenzsysteme: Munsell
Literatur: K. L. Kelly und D. B. Judd, «The ISCC-NBS Method of Designating Colors and a Dictionary of Color Names», National Bureau of Standards (USA), Nummer 553 (1955); K. L. Kelly und D. B. Judd, «Color Universal Color Language and Dictionary of Names», National Bureau of Standards, Spez. publ. Nummer 440 (1976); F. T. Simon, «Color Order», in F. Grum und C. J. Bartleson, Optical Radiation Measurements, Band 2, Color Measurement, New York 1980, S. 165-235.
Links: Inter-Society Color Council: Hier finden sich Angaben zu aktuellen Anlässen und Informationen zu dem eigenen System.