Das Ziel des Beckeschen System liegt darin, die «Gesetzmäßigkeiten der stoffichen Farbgebung und Farbwirkung aufzuklären», das heißt, mit der subtraktiven Mischung der stoffichen Farben ebensogut zurechtzukommen wie die Physiker mit der additiven Mischung der farbigen Lichterscheinungen. Ein «natürlicher Dreifarbenwürfel» wird vorgestellt, der in seinen acht Ecken acht verschiedene Farben trägt. Er wird mit senkrechter Grauachse so aufgestellt, daß an der Spitze Weiß und am Grund Schwarz zu liegen kommt. Vom Weißen her führen die Kanten zu den drei «Urfarben» Reingelb, Reinblau und Reinpurpur, und vom Schwarzen her laufen die Kanten zu den «Hauptfarben» Vollgrün, Vollviolett und Vollscharlach. In der Konstruktion lassen sich Hauptachsen und Gegenpolachsen finden. (Ausführlicher Text)
«Es gibt nur ein richtiges Farbsystem, das ist das dreidimensionale der Natur mit den drei voneinander unabhängigen Wirkungen der natürlichen drei Urfarben Reingelb, Reinblau und Reinpurpur als ordnende Richtlinien, das alle Farben ordnet.»
So lautet das Credo von Max Becke, dem Direktor des Forschungs-Instituts für die Textilindustrie in Wien, der 1924 eine «natürliche Farbenlehre» verkündet, in der er sich davon überzeugt zeigt, «daß die wissenschaftliche Grundlage für die Farbenlehre unbedingt in einem unumstößlichen Naturgesetz gegeben ist.» Becke stellt fest, daß sich «das innerste Wesen der Farben als objektive Eigenschaften der Stoffe» zeigt und die von uns verwendeten «mit dieser Eigenschaft Farbe identischen Farbenbegriffe (…) zwangsläufig (…) durch den Sehvorgang» gebildet werden. Er schließt daraus auf die Berechtigung seiner «natürlichen Farbformel yxz», «weil nur sie die tatsächlichen Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung im natürlich geordneten Geschehen naturwissenschaftlich exakt zum Ausdruck bringt.»
Beckes rührende Schwärmerei für die Allmacht der Naturwissenschaften gehört längst einer fernen Vergangenheit an, und trotz aller proklamierten Eindeutigkeit und Exaktheit ist seine «natürliche» Farbenlehre natürlich nur eine von vielen möglichen Farbenlehren. Sie operiert — wie erwähnt — mit drei Grundfarben, die der Wiener Chemiker und Kolorist auch konkret durch Pigmente benennt. Das Reingelb soll so aussehen «etwa wie Chinolingelb auf Wolle», das Reinblau soll «etwas weniger grünstichig als Patentblau-Kristalle auf Wolle» sein, und Reinpurpur soll «etwa wie Sulforhodamin B extra auf Wolle» erscheinen.
Das Ziel des Beckeschen System liegt nun darin, die «Gesetzmäßigkeiten der stofflichen Farbgebung und Farbwirkung aufzuklären», das heißt, mit der subtraktiven Mischung der stofflichen Farben ebensogut zurechtzukommen wie die Physiker mit der additiven Mischung der farbigen Lichterscheinungen. Er konstruiert dazu einen «natürlichen Dreifarbenkörper», in dem «die Gesamtheit der stofflichen Farben in der Außenwelt und die mit ihnen identischen gedanklichen Farbenbegriffe durch ihren konstitutiven Gehalt an den drei Ur- oder Grundfarben — Reingelb, Reinblau und Reinpurpur — eindeutig gekennzeichnet und eingeordnet» ist. Die Konstruktion und seine Vorstellung beschreibt Becke dann genauer, wobei aus heutiger Sicht überrascht, wie einfach sich der Chemiker die Innenwelt der Gedanken denkt:
«Der natürliche Farbkörper zerfällt — als Würfel dargestellt — in drei Systeme aufeinander senkrecht stehender Quadratflächen von 0 bis 120 steigendem Reingelb, Reinblau und Reinpurpur. Jede stoffliche Farbe in der Außenwelt wird als gedanklicher Farbenbegriff in dem Schnittpunkt derjenigen drei Grundfarbenflächen mathematisch und geometrisch genau eingeordnet, in die sie zwangsläufig beim Sehvorgang durch die Zerlegung ihrer objektiven Gesamtwirkung in diese drei voneinander unabhängigen objektiven Teilwirkungen eingereiht wurde. In den in Dreiecksform geschriebenen Farbformeln yxz kommt die Einreihung jeder Farbe eindeutig zum Ausdruck.»
In dieser Schreibweise ist Weiß 000, Schwarz wird durch 120120120 und die drei Reinfarben durch zwei Nullen und eine 120 beschrieben. Becke nennt sie deshalb auch «Eindrittelfarben». Das mittlere Grau ist durch die dreifache 60 gekennzeichnet.
Für die Farbmischungen kennt Becke einige hübsche Namen, wie Pfaublau, Lichtblau oder Kieferngrün, die wir aber im einzelnen nicht aufspüren wollen. Sein Dreifarbenkörper enthält vier sogenannte Gegenpolachsen, die von Weiß zu Schwarz, von Reingelb zu Vollviolett, von Reinblau zu Scharlach und von Reinpurpur zu Vollgrün verlaufen. Damit sind auch die Komplementärpaare bezeichnet. Wenn wir die dazugehörenden Buntfarben im Winkel von 120°, der auch Beckes Würfel dominiert, zueinander anordnen und als Energiequellen deuten, deren Wirkung sich auf konzentrischen Kreisen entfaltet, erhalten wir eine Figur, die mehr von der Spannung zwischen den Farben zeigt als die strenge Konstruktion im Würfel. Daß Farbe so gedeutet werden kann, finden wir bei Becke selbst, der festhält: «Farbe ist in Stofflichkeit gebundene Energie».
Datierung: Der Chemiker-Kolorist Max Becke, der ein Forschungsinstitut für die Textilindustrie leitete, publizierte seine «natürliche Farbenlehre» 1924 in Wien.
Herkunft: Österreich
Grundfarben: Drei Urfarben: Reingelb, Reinblau und Reinpurpur
Form: Würfel
Referenzsysteme: Müller I
Literatur: M. Becke, «Einführung in die natürliche Farbenlehre», Wien 1924; M. Becke, «Bemerkungen zu dem Vortrage Dr. A. Lauterbach (…) Zur natürlichen Farbenlehre Max Beckes», Melliand’s Textilberichte 7, 501-502 und 8, 596-600 und 9, 676-680 und 10, 753-756 (1925).