Dieses System ist auf der Grundlage der «empfindungsgemäßen Gleichabständigkeit» aufgebaut, wie es technisch korrekt und sprachlich mühsam heißt. Munsell versucht, jedem Attribut einer Farbe in geordneten visuellen Schritten Rechnung zu tragen. Er führt 100 Stufen für den Farbton («Hue») ein, wobei er von fünf Hauptfarben und fünf Nebenfarben ausgeht. Weiter unternimmt er seine Ordnung mit zehn Einheiten des Farbwertes («Value») und einer offenen Skala namens «Chroma», die der Sättigung ähnelt. Das dabei entstehende dreidimensionale System kann man besten als einen Farbenbaum darstellen. (Ausführlicher Text)
Von den vielen Versuchen, Farbsysteme dadurch zu konstruieren, daß man Standardproben nach einem logischen Plan organisiert und zugleich die empfundene Affinität der Farben berücksichtigt, hat nach allgemeiner Einschätzung der Ansatz des amerikanischen Malers Albert Henry Munsell (1858-1918) den größten Erfolg gehabt. Es gehört jedenfalls zu den am meisten verbreiteten und genutzten Farbsystemen, die auf der Grundlage der «empfindungsgemäßen Gleichabständigkeit» aufgebaut sind, wie es technisch korrekt und sprachlich mühsam heißt. Munsell hatte zunächst («A Color Notation», 1905) noch unter dem Einfluß von N. O. Roods «Modern Chromatics» (1879) eine eher unauffällige Kugel der Farben vorgeschlagen, aber als er sie mit gemalten Proben realisieren wollte, fiel ihm auf, daß der geometrisch symmetrische Körper unzureichend ist, wenn die gegenseitigen Beziehungen zwischen den Farben so dargestellt werden sollen, wie wir sie wahrnehmen. Die Helligkeit der reinen Buntfarben ist zu unterschiedlich, als daß man sie als Reihe auf einem Äquator anordnen könnte: Gelb zum Beispiel ist heller als Rot, und dieses wieder heller als Violett.
Munsells Bemühungen, ein System zu konstruieren, in dem die Abstände zwischen jeder Farbe und jedem Nachbarn als gleich groß empfunden werden, resultierten in einem 1915 publizierten «Farbatlas» («Color Atlas»). Hierin legt er eine um eine zentrale senkrechte Graureihe gruppierte «natürlich gewachsene» Ordnung vor, die der un- regelmäßigen äußeren Umrisse wegen auch als «color tree» («Farbbaum») bezeichnet wird.
Munsell baute sein System auf einem zehnteiligen Kreis auf, dessen Farben er in gleichen Abständen anordnete und so auswählte, daß sich gegenüberliegende Paare zu Unbunt mischen (Prinzip der Kompensativität). Die Farbtöne der handbemalten Plättchen, aus denen er seinen Baum zusammensetzte, hat Munsell nach drei Variablen ausgerichtet, die in seiner eigenwilligen Nomenklatur angeführt werden. Munsells Parameter heißen «Hue» (der Farbton), «Value» (der Index für die Helligkeit) und «Chroma» (die Stufen der Sättigung). Jede Farbe wird durch einen Dreierblock charakterisiert, der symbolisch als H/V/C zu verstehen und noch näher zu erläutern ist. Mit diesen Festlegungen entwickelte Munsell durch Farbkreiselmischungen das ganze System, wobei er dem Urteil seiner Augen vertraute.
Die (senkrechte) Value-Skala (Munsells Werte-Skala) teilt den Bereich zwischen Schwarz (Black) und Weiß (White) in 10 Schritte ein, die Munsell mit einem selbstkonstruierten Photometer festlegte. Er legte die Stufen dabei nicht einfach durch lineare Änderungen der Reflexion fest, sondern wählte eine Skala, in der sich die Quadrat-Wurzel aus der gemessenen reflektierten Intensität gleichmäßig änderte (siehe dazu auch das System von Ostwald).
Nachdem die Value-Skala eingerichtet war, wählte Munsell Proben von Rot (Red, R), Gelb (Yellow, Y), Grün (Green, G), Blau (Blue, B) und Purpur (Purple, P), die ihm — seinem Malerauge — untereinander und von einem Grau dieses Wertes gleich weit entfernt erschienen. Sie wurden zu den grundlegenden Farbtönen (hues) seines Systems, denen er fünf Mischungen hinzugesellte — Gelbrot (YR), Grüngelb (GY), Blaugrün (BG), Purpurblau (PB) und Rotpurpur (RP) — und in einem Kreis um das oben erwähnte neutrale Grau (N) anordnete (unten rechts). Allen diesen 10 Hauptfarben und ihren Mischungen wurde willkürlich der Parameter Chroma 5 zugewiesen. Die Chroma-Skala besitzt im übrigen ein offenes Ende und kann Werte bis zu 12 und 14 erreichen, je nachdem wie intensiv die benutzten Farben sind. Zinnober zum Beispiel erreicht diese extreme Position und wird in der Munsell-Notation entsprechend als 5R 5/14 abgekürzt, während Rosa — mit geringerer Sättigung — durch 5R 5/4 festliegt.
Der Farbenkreis unterscheidet insgesamt 40 Farbtöne (hues), die dadurch zustande kommen, daß die ursprünglichen fünf Farbtonintervalle zwischen den Hauptfarbtönen erst in 10, dann 20 und schließlich 40 Segmente unterteilt werden, und zwar wieder so, daß sie der Empfindung nach gleich weit voneinander entfernt sind. Ihre eigenwilligen Bezeichnungen sind ebenfalls angeführt.
Nach Munsells Tod erschien im Jahre 1929 eine neue Ausgabe des «Color Atlas», und zwar unter dem Titel «Munsell Book of Color», und es ist diese Fassung, die heute noch benutzt wird. Im Jahre 1942 empfahl die Organisation «American Standards» seine Verwendung, wenn es darum geht, die Farben von Oberflächen zu spezifizieren. Die ungefähre Identifizierung der Munsell-Parameter Hue, Value und Chroma konnte durch direkten visuellen Vergleich mit den Farbtäfelchen selbst sichergestellt werden. Allerdings wurde empfohlen, die Munsell-Notation zu verfeinern (was in Verbindung mit der «Optical Society of America» geschehen und als «renotation» bekannt ist).
Wichtig an dieser Festlegung eines materiellen Standards war vor allem, daß man nun — mit üblichen physikalischen Methoden — eine Grundform hatte, in die man alle anderen Farbsysteme übersetzen konnte.
Moderne Farbforscher wünschten, daß Munsell sein System noch einmal, heute unter Zuhilfenahme der modernen Mittel der Farbmessung, konstruieren würde. Dann könnte sich vielleicht tatsächlich eine Anordnung ergeben, die seine höchst empfindsam empfindende Bewertung der Farben mit ihrer valenzmetrischen Erfassung — wie es so schön heißt — verknüpfen und so einzigartig sein würde. Unter Farbvalenz — diesem spezifisch deutschen Ausdruck, für den es keine Übersetzung ins Englische gibt — wird dabei die Eigenschaft eines Farbreizes verstanden, die seinen Beitrag zur Wirkung einer Mischung ausmacht. Munsell war aber auf Kreiselmischungen angewiesen, die er so korrigierte, daß die systematischen Abweichungen der Farbempfindungen von der modernen Valenzmetrik minimal wurden.
Datierung: Eines der am weitesten verbreiteten und heute noch genutzten Farbsysteme wird zwischen 1905 und 1916 von dem amerikanischen Maler Albert Henry Munsell entwickelt.
Herkunft: USA
Grundfarben: Rot, Gelb, Grün, Blau und Purpur
Form: Farbbaum [«color tree»]
Anwendung: Malerei
Referenzsysteme: Bezold — Rood — Ostwald — CIE — CIE-Rösch — Johansson — DIN — ISCC-NBS — OSA — N.C.S. — Coloroid — HLS
Literatur: A. H. Munsell, «A Color Notation», Boston 1905; A. H. Munsell, «The Atlas of the Munsell Color System», Boston 1915; F. W. Billmeyer Jr., «Survey of Color Order Systems», Color Research and Application 12, 173-186 (1987).
Links: Munsell System: Adresse in Amerika, die das Munsell-System vorstellt und kommerziell anbietet. Mehr technische Information zu dem System (Englisch).