Gegen das Ende des 19. Jahrhunderts taucht die Psychologie im Bereich der Wissenschaften auf. Zu den frühen Pionieren, die eine experimentelle Psychologie als Erfahrungswissenschaft aufbauen und absichern, gehört Wilhelm Wundt, der Physiologie und Philosophie studiert und im Laufe seines Forscherlebens die Grundlagen für eine «Physiologische Psychologie» entwirft. Die Wundtsche Farbenkugel von 1874 weist entlang des Äquators acht Grundfarben in gleich großen Segmenten auf, die sich zum weißen beziehungsweise schwarzen Pol hin stufenweise verändern. Der Farbenkegel von 1893 baut ähnlich auf sechs Ausgangsfarben auf, die alle einer schwarzen Spitze zustreben. In beiden Systemen liegen sich unterschiedliche Komplementärfarben gegenüber. (Ausführlicher Text)
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts taucht die Psychologie im Bereich der Wissenschaften auf. Zu den frühen Pionieren, die eine experimentelle Psychologie als Erfahrungswissenschaft aufbauen und absichern, gehört Wilhelm Wundt (1832-1920), der Physiologie und Philosophie studiert und im Laufe seines Forscherlebens die Grundlagen für eine «Physiologische Psychologie» entwirft — so der Titel seines zweibändigen Lehrbuchs aus dem Jahre 1887 -, die heute selbstverständlich und erfolgreich betrieben wird. Wundt konnte dabei auf eine Psychophysik zurückgreifen, die vor allem durch Gustav Fechner (1801-1887) entwickelt worden war und in der es darum ging, Relationen zwischen meßbaren Gegebenheiten der physikalischen Umwelt und ihrem erlebten (psychischen) Abbild — der Empfindung — zu erkunden. Aus der Tatsache, daß im Dunklen kleinere Helligkeitsunterschiede wahrgenommen werden als im Hellen, riskierte man zunächst den allgemeinen Schluß, daß der merkliche Reizzuwachs (Zunahme an Helligkeit) in einem konstanten Verhältnis zum Grundreiz (der Helligkeit selbst) steht. Fechner stellte sich dann weiter vor, daß diese Beziehung kontinuierlich wirkt und auch für winzigste («infinitesimale») Änderungen zutrifft, woraus er das berühmte Fechnersche Gesetz ableitete, das dann gestattete, Unterschiede in der Helligkeitsempfindung mit den Leuchtdichten beziehungsweise den entsprechenden Differenzen von Farbtönen in Beziehung zu setzen (genauer müßte man vom Fechner-Weber-Gesetz sprechen).
Wundt schwärmte von Fechners Gesetz und versuchte, es zu erweitern. Statt einer Verbindung von Reiz und Reaktion schwebte ihm sogar eine Relation von Reiz und Empfindung vor. Sie konnte allerdings nie überzeugend formuliert werden, und auch die Fechnersche Beziehung ist kein Gesetz im strengen Wortsinn, sondern bestenfalls eine Annäherung an die tatsächlichen Sachverhalte. Nach der ersten Begeisterung ist die Psychophysik heute eher eine Wissenschaft am Rande geworden.
Wundt hat sich ausführlich mit Farben befaßt und sogar zwei Systeme entworfen, die sich beide aus dem Prinzip der Opposition heraus konzipieren (was sich aus den polaren Attributen der Erfahrungswelt — wie Erregung und Ruhe oder Wohlbefinden und Schmerz — ableiten läßt). Neben einem ersten kugelförmigen System von 1874, das sich am Diagramm von Forsius orientiert, stellte Wundt 1893 einen konischen Aufbau vor, der an die Vorschläge von Chevreul und Lambert erinnert.
(Den Kegel legte Wundt zum ersten Mal in der zweiten Auflage seiner «Vorlesungen über die Menschen- und Thierseele» vor. In der ersten Auflage von 1863 fehlte er noch. Die Frage bleibt offen, warum er dieses Schema überhaupt noch eingeführt hat, nachdem er bereits 1874 seine wesentlich informativere Kugel beschrieben hatte.(Abb. Basis des Kegels)).
Wundt interessiert sich für Farbsysteme vor allem, um mehr über den Prozeß der Wahrnehmung und Empfindung selbst zu verstehen, wobei er mit Empfindungen diejenigen Zustände des Bewußtseins meint, «welche sich nicht in einfachere Bestandteile zerlegen lassen», wie er in dem erwähnten Lehrbuch schreibt, in dem sich auch eine Darstellung der Farbenkugel findet. Sie hat Weiß (WE) und Schwarz (SC) an den Polen und einen Äquator aus acht Farben — Grün (GR), Grünblau (GB), Blau (BL), Violett (VI), Purpur (PU), Rot (RO), Gelb (GE) und Gelbgrün (GG) -, der einen Ring bildet, in dessen Zentrum das Graue steht. Wundt merkt dazu an: «Ist auch diese Darstellung in einer Kugel insofern willkürlich, als statt ihrer ein anderes körperliches Gebilde von analogen Eigenschaften gewählt werden kann, so findet in ihr doch die psychologische Thatsache, daß das gesammte System der Lichtempfindungen ein dreidimensionales und in sich geschlossenes Continuum ist, ihren anschaulichen Ausdruck.»
Während man bei der Farbenkugel von der größten Schnittfläche (im Zentrum) aus in zwei Richtungen laufen kann, bleibt beim Kegel nur ein Weg, der von der weißen Mitte des Grundkreises zur schwarzen Spitze führt. Der Kreis selbst beherbergt nur sechs Farben, und zwar Gelb, Grün, Blau, Purpur, Rot und Orange. Diese Reduzierung führt natürlich dazu, daß sich in den beiden Systemen von Wundt unterschiedliche Farben gegenüberstehen.
In beiden Anordnungen von Wundt spielt die Zahl 8 eine auffallende Rolle. Im Kegel tauchen insgesamt acht Farben auf, und in der Kugel finden sich acht Farben im größten Querschnitt durch die Mitte wieder. In der Tat ist es so, daß acht Grundfarben die äußersten Farbempfindungen repräsentieren, die das Auge hervorbringen kann, wenn man die drei Urfarben zugrunde legt, auf die Maxwell hingewiesen hat. Aus drei Komponenten lassen sich acht Kombinationen anfertigen, zu denen natürlich auch Schwarz (das keine Urfarbe enthält) und Weiß (das alle drei Urfarben enthält) gehören.
An dieser Stelle ist eine besondere Anmerkung zum Konzept des Farbenkreises erforderlich, der in beiden System von Wundt auftaucht und natürlich auf Newton zurückgeht. Spätestens seit bekannt ist, daß das elektromagnetische Spektrum des sichtbaren Lichts (zwischen 400 nm [Blau] und 700 nm [Rot]) offen ist, muß verwundern, daß man die Farben mit einem geschlossenen System darstellen kann. Den Farbenkreis gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Er existiert nur in unserem Kopf, eine konstruktive Leistung unserer Wahrnehmung.
Farben zeigen, daß unsere Wahrnehmung sowohl selektiv als auch konstruktiv ist. Sie ist selektiv, da nicht alle Wellenlängen des Lichtes vom Auge empfangen werden, und sie ist konstruktiv, da aus physikalischen Reizen (Licht verschiedener Wellenlängen) Qualitäten (Farben) entstehen. Bei Mischungen zweier Wellenlängen, die physikalisch trennbar bleiben, entsteht eine dritte Farbe, die physiologisch nicht teilbar ist; Weiß und Purpur können dabei nur durch Mischung (und nicht als reine Farbe) entstehen.
Wir können noch fragen, warum unser Auge gerade für den Wellenlängenbereich zwischen 400 nm und 800 nm empfindlich ist. Die Antwort findet sich in der Atmosphäre, die für Strahlung nur bedingt durchlässig ist. Tatsächlich hat die Atmosphäre unseres Planeten ein «optisches Fenster», das mit dem unserer Wahrnehmung praktisch übereinstimmt. Unser Auge ist also gerade für den Ausschnitt empfindlich, in dem das elektromagnetische Spektrum des Lichts, das die Erde erreicht, ein Maximum zeigt. Dieses Maximum liegt im Grün, also etwa in der Mitte der Spektralfarben und gerade in dem Bereich, dem von Bezold in seinem Kreis den größten Platz eingeräumt hat. Biologen sprechen dabei vom «Passungscharakter» der Wahrnehmung. Nur die Strahlung, die uns erreicht, ist zum Licht geworden, das wir sehen können.