Die Farbenkugel trägt die reinen Farben entlang des Äquators. Ausgangspunkt sind dabei die drei subtraktiven Primärfarben Rot, Gelb und Blau, die in gleichen Abständen voneinander postiert werden, in denen jeweils drei Mischfarben erscheinen. Die Pole der Kugel sind Weiß und Schwarz. Runge wollte nicht das Verhältnis von Mischungen, sondern vor allem die Harmonien von Farben anschaulich fassen, er wollte Ordnung in die Gesamtheit der möglichen Farben bringen und suchte nach dem idealen Farbkörper. (Ausführlicher Text)
In demselben Jahr 1810, in dem Goethes Schrift mit ihrem Farbenkreis (Originalzeichnung Goethe) veröffentlicht wird, legt der Maler Philipp Otto Runge (1777-1810) sein Werk über eine «Farbenkugel» vor, in der es ihm laut Untertitel um die «Construction des Verhältnisses aller Mischungen der Farben zueinander und ihrer vollständigen Affinität» geht (Abb. historische Darstellung von Runge). Runges Kugel erscheint im Todesjahr des Malers, der schon im jungen Alter von 33 Jahren stirbt. Seine Farbordnung stellt die Summe seiner Bemühungen um die Farbe dar, die man in einem Lexikon einmal als «ein Gemisch von naturwissenschaftlich-mathematischen Erkenntnissen, mystisch-magischen Kombinationen und symbolischen Deutungen» bezeichnet hat. Runges Farbenglobus steht am vorläufigen Ende einer Entwicklung, die von den Farbenreihen über die zweidimensionalen Farbenkreise zur räumlichen Anordnung der Farben in Form einer Pyramide geführt hat.
Runge sah in den drei (bei ihm als Maler subtraktiven) Grundfarben, Blau, Rot und Gelb, das «simple Symbol der Dreyeinigkeit Gottes», wie er in einem Brief 1803 schrieb. Schwarz und Weiß sind für ihn keine Farben, denn «das Licht ist das Gute, und die Finsternis ist das Böse».
Der Weg zur Kugel beginnt mit einem Farbenkreis, den er in einem Brief an Goethe im Jahre 1806 entwirft (er wurde in Auszügen im didaktischen Teil von Goethes Farbenlehre wiedergegeben): «Drey Farben, Gelb, Roth und Blau, giebt es bekanntlich nur. Wenn wir diese in ihrer ganzen Kraft annehmen, und stellen sie uns als einen Cirkel begränzt vor, so bilden sich aus diesen drey Übergänge, Orange, Violett und Grün (ich heiße alles Orange, was zwischen Gelb und Roth fällt, oder was von Gelb aus sich nach dem Rothen, oder umgekehrt, hinneigt) und diese sind in ihrer mittleren Stellung am brillantesten und die reinen Mischungen der Farben.»
Sowohl die drei reinen als auch die drei Mischfarben heben sich im Grau der Mitte auf. Grau kann allerdings auch aus Schwarz und Weiß gemischt werden. Um das Verhältnis der Buntfarben zu Schwarz und Weiß geometrisch faßbar zu machen, geht Runge 1807 zum Modell eines «Globus» über, aus dem 1809 die Farbenkugel wird, deren Pole schwarz und weiß sind. Die reinen Farben selbst laufen entlang des Äquators, wobei ihnen die gleichen Intervalle zugestanden werden. Jede auf der Kugeloberfläche plazierte Farbe kann sich in fünf Richtungen bewegen: Auf die rechts beziehungsweise links stehenden Farben zu, nach oben zum Weißen und nach unten zum Schwarzen hin, und zum Grauen hin und durch die Mitte an diesem vorbei auf die Komplementärfarbe zu.
In der Einleitung zu seiner Farbenlehre beklagt Runge sich darüber, daß die Künstler von den Wissenschaftlern im Stich gelassen worden sind, da sie diejenigen Wirkungen der Farbe, «die aus der bloßen Brechung des Lichtstrahls nicht zu erklären waren», außer acht gelassen hätten. Sein Ziel besteht darin, «die Verhältnisse der gegebenen Farben zueinander (…) zu erforschen, (…) um die Eindrücke, welche ihre Zusammenstellungen auf uns machten, und die veränderten Erscheinungen, welche aus ihren Mischungen entstehen, bestimmt herausfinden und jedesmal mit unserem Material wiedergeben zu können». Er betrachtet Farben als «eine gegebene, ja selbständige Erscheinung», weshalb seine Untersuchungen «als ganz abgesondert von der Wissenschaft, wie durch das Licht die Farben entstehen», angesehen werden können.
Runge wählt die perfekte Symmetrie der Kugel (und nicht etwa die eines Doppelkegels), weil seiner Ansicht nach nur so im Zentrum ein «völlig gleichgültiges Grau» entsteht. Die auf der Kugeloberfläche diametral entgegengesetzten Farbpaare lösen sich nur so im Mittelpunkt auf (Abbildung Aufsicht und Querschnitt). Runge wollte seine Farbenkugel nicht als «Kunstproduct» verstanden wissen, sondern als «eine mathematische Figur von einigen philosophischen Reflexionen» vorlegen.
Runge kannte natürlich Lamberts Pyramide (Abb. historisches System), aber er wollte die reinen Farben im gleichen Abstand zu Schwarz und Weiß plazieren und entschied sich deshalb für die runde Konstruktion, die auch viel eher mit der göttlichen Ordnung des Kosmos in Verbindung zu bringen war. Ihm war klar, daß seine Darstellungen nur die imperfekte Illustration der idealen Kugel sein konnten. Ihm mußte auch klar sein, daß die subtraktive Farbmischung — nur die kommt bei seinen Malfarben in Frage — nicht das neutrale, mittlere Grau produziert, das ihm so wichtig war. Der Schluß liegt nahe, daß Runge etwas ganz anderes im Sinn hatte als Lambert, der vor allem ein praktisches System vorlegen wollte, mit dessen Hilfe Farben gemischt werden können. Runge wollte nicht das Verhältnis von Mischungen, sondern vor allem die Harmonien von Farben anschaulich fassen. Er wollte Ordnung in die Gesamtheit der möglichen Farben bringen, die anders begrenzt wird als durch unsere sprachlichen Mittel, wie er in einem Brief an Goethe festhielt: «Wenn man sich ein bläuliches Orange, ein rötliches Grün oder ein gelbliches Violett denken will, wird einem zu Muthe wie bei einem südwestlichen Nordwinde.» Seine Kugel zielte auf ein echtes Farbsystem, und dieser Versuch ist in seinem Jahrhundert nicht wieder übertroffen worden.
Datierung: 1810 legt der Maler Runge nach einer achtjährigen Beschäftigung mit den Farben seine Konstruktion einer Kugel vor.
Herkunft: Deutschland
Grundfarben: Blau, Rot und Gelb
Form: Kugel
Referenzsysteme: Lambert — Goethe — Benson
Literatur: Ph. O. Runge, «Farbenkugel», Hamburg 1810; J. Pawlik, «Theorie der Farbe», Köln 1976; H. Matile, «Die Farbenlehre Phillip Otto Runges», 2. Auflage, München 1979; John Gage, «Kulturgeschichte der Farbe: von der Antike bis zur Gegenwart», Ravensburg: Maier, 1994 (verschiedene Abbildungen und kommentierte Erwähnungen).
Links: Virtuell begehbare Farbenkugel nach Philipp Otto Runges