Der vollständige Titel von Sowerbys Werk beschreibt, worum es ihm geht: «Eine neue Erläuterung der Farben, ursprüngliche, prismatische und materielle; Nachweis ihrer Konkordanz in den drei Primärfarben Gelb, Rot und Blau; und die Wege, sie zu produzieren, zu messen und zu mischen; mit einigen Beobachtungen über die Genauigkeit von Sir Isaac Newton». Zu der Zeit, als James Sowerby sein System vorlegte, präsentierte der englische Arzt und Physiker Thomas Young seine später bestätigte Theorie, derzufolge das Auge durch die Wahrnehmung von nur drei Wellenlängen alle Farben kombinierend zustande bringt. Auch diese «theory of trichromatic vision» basierte auf den additiven Primärfarben Rot, Grün und Blau. (Ausführlicher Text)
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellt der Engländer James Sowerby (1757-1822), der zuvor schon als Autor von Büchern über Botanik und Naturgeschichte hervorgetreten war, sein dem «großen Sir Isaac Newton» gewidmetes Farbsystem vor. Es trägt den langen Titel «A New Elucidation of Colours, Original Prismatic, and Material: Showing their Concordance in the Three Primitives, Yellow, Red, and Blue: and the Means of Producing, Measuring, and Mixing Them: with some Observations on the Accuracy of Sir Isaac Newton». Mit diesem 1809 in London erschienenen Werk stellt sich Sowerby zwei Aufgaben: Er will zum einen wieder die Bedeutung der Helligkeit und der Dunkelheit betonen, die seit Newton etwas in Vergessenheit geraten ist, und er will zum anderen einen Unterschied deutlich machen, der zwischen Farben besteht. Die Farben des Lichtes und die Farben der Materie verhalten sich nämlich anders, wenn man sie zusammenbringt (worauf wir schon bei Johann Heinrich Lambert hingewiesen haben). Sowerby geht dabei von drei Grundfarben — Rot, Gelb und Blau — aus, die kombiniert werden. Die Skizzen auf der rechten Seite neben dem Diagramm heben zum einen die drei Teile hervor, auf denen Sowerbys Theorie beruht, und sie drücken zum anderen die Kontinuität aus, die sich zwischen ihnen stabilisierend einstellen kann.
Farbiges Licht mischt sich additiv, das heißt, die Summierung von Lichtstrahlen mit unterschiedlichem spektralem Aufbau, die etwa aus zwei Lampen kommen, ergibt eine neue Farbe. Anders als das Ohr führt das Auge (und mit ihm das Gehirn) keine Analyse der einfallenden Wellenzüge durch, es baut dabei vielmehr einen neuen Eindruck — eine neue Farbe — auf.
Die additive Mischung von Rot und Grün ergibt zum Beispiel Gelb, und Violett-Blau zusammen mit Grün ergibt Cyan-Blau. Zwei Farben, die sich additiv aufheben und zu Weiß ergänzen, nennt man Komplementärfarben. Führt man die entsprechenden Versuche durch, stellt sich heraus, daß es drei solcher Paare gibt: Grün und Magenta-Rot, Violett-Blau und Gelb und Rot und Cyan-Blau, wenn man die Farben so genau wie möglich bezeichnet.
Farbige Pigmente wirken nun ganz anders als farbiges Licht. Während gelbes Licht aus dem Licht einer bestimmten Wellenlänge besteht, kommt die Farbe eines gelben Pigments dadurch zustande, daß es die Komplementärfarbe zu Gelb, also Violett-Blau, absorbiert. Die subtraktive Mischung eines gelben und eines violett-blauen Pigments ergibt nicht Weiß, sondern Schwarz (siehe Tafel 10). Dies trifft auch für die beiden anderen komplementären Farbpaare zu. Sowohl Rot und Cyan-Blau als auch Grün und Magenta-Rot ergeben zusammen ein Pigment, das kein Licht mehr reflektiert, das also Schwarz ist.
Damit können wir einige Unterschiede verdeutlichen, die traditionell immer verwischt worden sind und deren Nichtbeachtung zur Verwirrung führt. Komplementärfarben ergeben additiv Weiß und subtraktiv Schwarz. Subtraktion geht von allen Farben (Weiß) aus und endet beim Schwarzen. Addition beginnt ohne Licht (Schwarz) und endet, wenn alle Wellenlängen vorhanden sind (Weiß). Wenn man — wie es oftmals üblich ist — Rot, Grün und Blau als Primärfarben der Addition betrachtet, weil sie die größte Palette der Mischung liefern, dann sollten aus demselben Grund als Primärfarben der Subtraktion diejenigen Pigmente genommen werden, die Rot, Grün oder Blau absorbieren. Mit anderen Worten: die entsprechenden subtraktiven Primärfarben heißen Cyan-Blau, Magenta und Gelb.
Wir haben von den drei Grundfarben Sowerbys — Rot, Gelb und Blau — das Gelbe gegen das Grüne getauscht, weil zu der Zeit, als er sein System vorlegte, der englische Arzt und Physiker Thomas Young (1773-1829) seine später bestätigte Theorie vorlegte, derzufolge das Auge durch die Wahrnehmung von nur drei Wellenlängen alle Farben kombinierend zustande bringt. Diese «theory of trichromatic vision» basierte auf den erwähnten additiven Primärfarben Rot, Grün und Blau. Young war zu seinen Überlegungen einer Dreifarbentheorie zum ersten Mal um 1801 gekommen, als er sich klarmachte, daß ein Auge nicht jede der nahezu unendlich vielen Farben gesondert aufnehmen kann, sondern dies sicher ökonomischer tut: «Da es kaum möglich ist, zu glauben, daß jeder lichtempfindliche Punkt der Retina eine unendliche Zahl von Partikeln enthält, die alle in der Lage sein müssen, mit der jeweiligen Welle in völliger Übereinstimmung zu oszillieren, wird die Annahme notwendig, daß ihre Zahl begrenzt ist, zum Beispiel auf die drei Hauptfarben Rot, Gelb und Blau.»
Dies ist kein Schreibfehler. Young hat erst 1807 in seinen «Vorlesungen über die Naturphilosophie und die mechanischen Künste» («Lectures on natural philosophy and mechanical arts») das Farbtrio eingeführt, mit dem die Dreifarbentheorie heute verbunden ist. «Es ist erforderlich», so schrieb er damals, «die Annahmen zu modifizieren, die ich in meiner letzten Schrift gemacht habe (…) und an die Stelle von Rot, Gelb und Blau Rot, Grün und Violett zu setzen.» Da das von Young benutzte Violett seinen Nachfolgern eher wie Blau erschien, spricht man der Einfachheit wegen von Rot, Grün und Blau, wenn man die «trichromatic theory of vision» meint.
Diese Theorie wurde in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts glänzend bestätigt, als es vor allem englischen Physiologen und Biochemikern gelang, den Nachweis zu führen, daß auf der menschlichen Netzhaut drei verschiedene Arten von farbempfindlichen Zellen — die sogenannten Zapfen — existieren. Sie enthalten Pigmente, die vor allem blaues, grünes und rotes Licht empfangen (absorbieren) können. Technisch spricht man von den Absorptionsmaxima der foto-empfindlichen Zellen, für die man heute die zugehörigen Wellenlängen angeben kann, nämlich 425 Nanometer (nm) für Blau, 535 nm für Grün und 570 nm für Rot. (Wellenlängen des Lichtes konnten zum ersten Mal kurz vor Youngs Tod bestimmt werden.)
Der erste Schritt der Farbwahrnehmung erfolgt genau so, wie es sich Young zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorgestellt hat. Aber schon der zweite Schritt sieht völlig anders aus. Young dachte noch an eine direkte Weiterleitung der empfangenen Signale ins Gehirn. Er stellte sich jede hier eintreffende Nervenfaser aus drei Teilen zusammengesetzt vor, die für jeweils eine der Hauptfarben zuständig waren und deren Erscheinen im Auge meldete. So einfach sieht die Verarbeitung der Farbinformation nicht aus, wenn wir höher steigen. Wie es da zugeht, hat man erst in den letzten Jahrzehnten einigermaßen verstanden. Dabei wurden Ideen bestätigt, die Psychologen bereits am Ende des 19. Jahrhunderts vorgelegt hatten. Wir werden darauf noch eingehen, wollen uns aber — auch beim Weg vom Auge ins Gehirn — an die historische Reihenfolge halten.
Datierung: Sowerby legt zu Ehren des «großen Sir Isaac Newton» sein System der Farben 1809 vor.
Herkunft: England
Grundfarben: Rot, Gelb und Blau
Form: modifizierte Form des Dreiecks
Referenzsysteme: Harris — Lambert — Runge — Hayter — Maxwell — Ebbinghaus
Literatur: J. Sowerby, «A New Elucidation of Colours, Original, Prismatic, and Material: Showing their Concordance in Three Primitives, Yellow, Red, and Blue: and the Means of Producing, Measuring, and Mixing Them: with Some Observations on the Accuracy of Sir Isaac Newton», London 1809; «Color Documents: A presentational Theory», organisiert von S. Wurmfield, Hunter College Art Gallery, New York 1985; John Gage, «Kulturgeschichte der Farbe: von der Antike bis zur Gegenwart», Ravensburg: Maier, 1994, Seite 221 (kommentierte Erwähnung).