Nachdem Newton das Tageslicht durch ein Prisma in einzelne Farben zerlegt und dabei sieben Hauptfarben gezählt hatte, fiel ihm weiter auf, daß diese Reihe dem Farbton nach in sich zurückläuft. Indem er das violette Ende des Spektrums mit dem roten Anfang verknüpfte, schuf er seinen Farbenkreis, der sich nachhaltig auswirkte. Mit Newtons Kreisform wird der Übergang von der ein- zur zweidimensionalen Farbordnung vollzogen. Es ist dabei nützlich, sich klarzumachen, daß dieser Schritt zwar von einem Physiker durchgeführt wurde, dennoch aber wenig mit Physik zu tun hat. Unser Gehirn ist es, das aus der Linie der Physik den Kreis macht, den Newton als erster gezeichnet hat. (Ausführlicher Text)
«Weiß hat Newton gemacht aus allen Farben. Gar manches hat er euch weis gemacht, das ihr ein Säkulum glaubt.»
So polemisierte der große deutsche Dichter Goethe gegen den großen englischen Physiker Newton noch mehr als einhundert Jahre, nachdem der Wissenschaftler eine neue Farbordnung angegeben hatte, die das herkömmliche lineare System zu einem Kreis bog und auf die alte Organisation nach Hell- und Dunkelwerten verzichtete. Der Newtonsche Farbenkreis besteht — mit unseren heutigen Bezeichnungen und Newtons Buchstaben — aus sieben Farben in der Folge Rot (p) — Orange (q) — Gelb (r) — Grün (s) — Cyanblau (t) — Ultramarinblau (v) — Violettblau (x). Schwarz und Weiß finden sich dabei nicht mehr. Stattdessen wird die freie Kreismitte ausdrücklich dem Weißen zugeordnet, um zu symbolisieren, daß die Summe aller angeführten Farben weißes Licht ergibt. Goethe wehrte sich vehement gegen diese Konzeption, und er zielte damit auf das Fundament der Newtonschen Optik, an deren Anfang die Zerlegung des Tageslichts durch ein Prisma steht.
Isaac Newton (1642-1726) gehört sicher zu den einflußreichsten Naturforschern unserer Geschichte, und die produktivste Zeit hatte er in seiner Jugend. Er war gerade erst zweiundzwanzig Jahre alt, als er die Grundlagen für das Verfahren entwickelte, das heute Infinitesimalrechnung heißt und eine mathematische Behandlung von Geschwindigkeiten und Beschleunigungen ermöglicht. Vier Jahre später konstruierte er ein Spiegelteleskop (um die ärgerlichen Farbfehler seiner Vorgänger zu vermeiden), und in diesen Jahren gelangen ihm auch die Einsichten, die ihn berühmt machten. Newton zeigte, daß ein auf den Boden fallender Apfel und der unseren Planeten umkreisende Mond denselben mechanischen Gesetzen folgen. Mit anderen Worten, die Physik der Erde ist auch die Physik des Himmels. Der Kosmos ist uns nicht fremd. Unsere Gesetze gelten dort auch.
Newton publizierte seine Vorstellungen von der Gravitation und ihre mathematische Behandlung 1687 in seinem Hauptwerk «Philosophiae naturalis principia mathematica». Zu dieser Zeit hatte er sich auch schon mit optischen Versuchen beschäftigt und längst verstanden, daß weißes Licht aus farbigen Strahlen zusammengesetzt ist. 1672 hatte er der Royal Society eine Arbeit geschickt, in der er «a new theory of light and colours» vorstellte. Im Jahr zuvor drohte die Pestgefahr in London, und Newton hatte sich mehrere Monate auf die elterliche Farm im Kreis Lincolnshire zurückgezogen. Hier wiederholte er zunächst die Experimente von Marci, der 1648 weißes Licht durch ein Prisma geleitet und seine Ablenkung beobachtet hatte. Newton ging dann einen ersten Schritt weiter, indem er sich davon überzeugte, daß die Lichtstrahlen selbst hinter dem Prisma gradlinig weiterliefen. Anschließend kam es zum «experimentum crucis». Newton ließ die von einem ersten Prisma gebrochenen Strahlen durch ein zweites Prisma laufen. Er sah, daß sie dabei zwar erneut abgelenkt, aber sonst nicht weiter verändert (zerlegt) werden. Damit konnte er feststellen: Farben sind nicht Modifikationen des weißen Lichts. Farben sind vielmehr seine ursprünglichen Bestandteile. Weißes Licht besteht aus farbigem Licht, und zwar aus den sieben Komponenten, die sich im Farbkreis finden. Dieses farbige Licht ist nicht zusammengesetzt, es ist im Gegenteil einfach, und seine Farbe ist rein. Es konnte natürlich gemischt werden, um sekundäre Farben zu erzeugen. Und wenn die Komponenten im richtigen Verhältnis aufeinandertrafen, sah das Licht weiß aus.
Die Palette, die bei der Brechung des Lichts an einem Prisma zustande kommt, nennt man das Farbspektrum, und seine Komponenten sind die Spektralfarben. Die Frage lautete nun, wie sie zu erklären sind. Warum wird blaues Licht stärker im Prisma abgelenkt (gebrochen) als rotes Licht?
Eine Antwort konnte nur gegeben werden, wenn mehr über die Natur des Lichtes bekannt war. Woraus bestand ein Lichtstrahl, der sich offensichtlich gradlinig bewegen konnte? Hatte man es hier mit einer Welle zu tun, wie man sie an einem Seil beobachten kann? Oder setzte sich Licht aus winzigen Partikeln (Korpuskeln) zusammen?
Newton versuchte, diese Themen in seinem zweiten grundlegenden Werk zu klären, seiner «Opticks», die im Jahre 1704 erschien und auch den Farbenkreis enthält, den unsere Tafel zeigt. Die Farben sind dabei mit kreisförmigen Gebilden markiert, die beim Rot am größten sind und zum Violettblau hin kleiner werden. Newton deutet damit seine Vorstellungen von der Natur des Lichtes an. Licht setzt sich seiner Ansicht nach aus Korpuskeln zusammen, die in Abhängigkeit von ihrer Größe durch das Prisma abgelenkt werden: das große Rot am wenigsten, das kleine Blau am stärksten. Wir können nun weitere Details in Newtons Farbenkreis erklären: Er ist in Sektoren unterteilt, deren Größe proportional zu ihrer Intensität im Spektrum ist. Mit dieser Länge und der unterschiedlichen Größe der Lichtkorpuskel läßt sich eine Art Schwerpunkt des Kreises berechnen und eintragen, der von Newton mit Z bezeichnet wurde. Die Gerade, die das weiße Farbzentrum O und das Gravitationszentrum Z verbindet, schneidet den Kreis in Y. Farbmischungen können dargestellt werden, indem man im Hinblick auf Newtons Liebe zur Mechanik ein Kräftedreieck zeichnet, dessen Eckpunkte durch drei Grundfarben — Rosso (Rot), Blu (Blau) und Verde (Grün) — gebildet werden.
Mit der korpuskularen Sicht von der Natur des Lichtes stellte sich Newton in Gegensatz zu einer Abhandlung des Holländers Christian Huygens, der 1678 sein «Traité de la lumière» veröffentlichte und das Licht als eine Bewegung in einem feinen Medium interpretierte, dessen Bewegung durch Stöße der lichtaussendenden Materie in Schwung kommt. Eine Vorahnung dieser Wellenvorstellung findet sich übrigens bereits 400 Jahre früher bei Robert Grosseteste, der sich auch schon Gedanken über die Ausbreitung der «Species» Licht gemacht hat («multiplicatio speciorum»). Leider verwendet Huygens keinerlei Aufmerksamkeit auf die Frage, wie in seinem Bild die Spektralfarben zustande kommen können. Und die uns heute bekannte Antwort, daß sich hier eine Zunahme der Wellenlänge vom Blau zum Rot hin zeigt, mußte ihm verschlossen bleiben, weil es noch bis ins 19. Jahrhundert dauerte, bevor man durch Beugung von Licht an einem Gitter Wellenlängen von der Größenordnung messen konnte, die hier eine Rolle spielen.
Newtons Farbenkreis bleibt unvollständig erläutert ohne den Hinweis darauf, daß sein Erfinder davon überzeugt war, daß Licht- und Schallausbreitung vergleichbar sind und auch harmonisch übereinstimmend zu behandeln sind. Newton wählt sieben Farben, weil eine Oktave sieben Tonintervalle zeigt, und er ordnet ihnen Abschnitte in Analogie zu deren Größe in der dorischen Tonleiter zu. Die dazugehörenden einzelnen Töne fallen mit den Grenzen zwischen den Farbqualitäten zusammen, das D zum Beispiel mit der Grenze zwischen Violett und Rot, und das A mit der Grenze zwischen Grün und Blau.
Mit Newtons Kreisform wird der Übergang von der ein- zur zweidimensionalen Farbordnung vollzogen. Es ist dabei nützlich, sich klarzumachen, daß dieser Schritt zwar von einem Physiker durchgeführt wurde, dennoch aber wenig mit Physik zu tun hat. Das Spektrum, das Newton hinter seinem Prisma sieht, ist eine Linie, die er nur deshalb krümmen kann, weil die Farbtöne kontinuierlich ineinander übergehen. Allein deshalb kann das kurzwellige (violette) Ende — unter Verzicht auf Purpur — an das langwellige (rote) Ende angeschlossen werden. Die Lücke der Physik wird durch die Empfindung geschlossen. Unser Gehirn ist es, das aus der Linie der Physik den Kreis macht, den Newton als erster gezeichnet hat. Farben versteht man nur, wenn man die Menschen berücksichtigt, die sie sehen dürfen.
Datierung: Die berühmte kreisförmige Anordnung der Spektralfarben erscheint im Jahre 1704 in seinem zentralen Werk über «Opticks».
Herkunft: England
Grundfarben: Rot, Orange, Gelb, Grün, Cyanblau, Ultramarinblau, Violettblau
Form: Kreis
Anwendung: Physik
Referenzsysteme: Grosseteste, Alberti, da Vinci — Aguilonius — Kircher — Waller — Mayer — Harris — Schiffermüller — Sowerby — Goethe — Field — Maxwell — Helmholtz — Wundt
Literatur: I. Newton, «Opticks», London 1704 (zahlreiche Neuauflagen); K. T. A. Halbertsma, «A History of the Theory of Colour», Amsterdam 1949; R. S. Westfall, «The development of Newton’s theory of color», Isis 53, 339-358 (1962); John Gage, «Kulturgeschichte der Farbe: von der Antike bis zur Gegenwart», Ravensburg: Maier, 1994, Seiten 201-203.