In dieser vielleicht ältesten Darstellung eines Systems, das mit dem Trio Rot, Gelb und Blau arbeitet, werden die Farben in linearer Einteilung angegeben. Ihre Mischmöglichkeiten lassen sich durch Bogen erkennen. «Man sieht seinem Werke die Ruhe des Klosters an, die bei einer Arbeit bis ins einzelnste zu gehen weiß», urteilte Goethe über Franciscus Aguilonius, den er sehr schätzte. (Ausführlicher Text)
Franciscus Aguilonius (1567 – 1617) «war Jesuit zu Brüssel und gab 1613 seine Optik in Folio heraus zu Antwerpen», wie Goethe in seiner «Geschichte der Farbenlehre» mitzuteilen weiß, und er bemerkt weiter: «Man sieht seinem Werke die Ruhe des Klosters an, die bei einer Arbeit bis ins einzelnste zu gehen weiß.» Wir könnten hinzufügen, daß wer will auch den Rundbögen des Farbsystems ihre Herkunft in den Gewölben und den Fenstern eines Kreuzgangs ansehen kann.
François d’Aguilon so die französische Fassung seines Namens steht offenbar ganz in der aristotelischen Tradition, und er gibt neben der klassischen linearen Einteilung die Möglichkeiten der Farbmischung durch Bogen an. Es ist wichtig, darauf zu achten, daß Aguilonius in seinem zwischen 1606 und 1611 entstandenen Lehrbuch zur Optik nicht die von Malern verwendeten «colores concreti» ins Auge fassen wollte. Er dachte vielmehr an die darin zutage tretenden sichtbaren Farbqualitäten, wie wir heute sagen würden.
Als Physiker führt der Brüsseler Jesuit den Begriff der «einfachen Farbe» ein, und er meint damit diejenigen, aus denen die unendlich vielen anderen durch Mischung hervorgehen. Von diesen einfachen Farben gibt es nun gerade fünf, wie die Tafel zeigt:
«Quinque sunt simplicium colorum species, ac tres compositae», wie es in der «propositio 39» seines Werkes heißt. Zwischen den als Helligkeit und Dunkelheit bestimmten Extremfarben («colores extremi») sie heißen «albus» und «niger» stehen als Mittelfarben («colores medii») «flavus rubeus caeruleus», also «Gelb Rot Blau». Mischt man dem jeweiligen Bogen folgend je zwei der einfachen Grundfarben, so erhält man «aureus», «purpurus» und «viridis», also Gold, Purpur und Grün. Vor einer Mischung aller drei der einfachen Farben warnt Aguilonius ausdrücklich. Dabei würde nur ein schmutziggrauer Ton entstehen, eine leichenhafte Farbe.
Goethe lobt Aguilonius, da bei ihm deutlicher als gewohnt zur Sprache kommt, «daß nach den verschiedenen Erscheinungsweisen die Farben eingeteilt werden müssen». Aguilonius unterscheidet dabei in der Übersetzung von Goethe «wahre, apparente und intentionelle Farben», die uns der Dichter in seiner «Geschichte der Farbenlehre» so erläutert: «Die wahren Farben werden den Eigenschaften der Körper zugeschrieben, die apparenten für unerklärlich, ja als göttliches Geheimnis angesehen und doch gewissermaßen wieder als zufällig betrachtet.» Die intentionellen Farben sind noch schwieriger zu erfassen, denn mit dieser Formulierung unterlegt man den Farben einen Willen und eine Absicht, man schreibt ihnen «wegen ihrer Zartheit und Wirkung eine geistige Natur» zu. Goethe widmet ihnen ein ganzes Kapitel, auf das wir hier nur hinweisen können.
Aguilonius wendet die dreifache Einteilung der Farben auch auf die Mischungen an, und hier sind diese Konzepte leichter zu erfassen. Bei der intentionellen Mischung («compositio intentionalis») geht es einfach um die Überlagerung mehrerer Farbschichten. Neben dieser Art unterscheidet Aguilonius ferner die Verbindung der physikalischen Farbstoffe («compositio realis») sowie die vom Auge als Mischung wahrgenommene Verteilung kleinster Farbflecken («compositio notionalis»), ohne sie allerdings in seinem Diagramm deutlich hervorzuheben. Seine Bögen lassen sich sicher nicht in allen drei Fällen anwenden, denn die Mischfarbe von gelbem und blauem Licht ist nicht Grün wie es Aguilonius darstellt und wie es für Malfarben zutrifft sondern Weiß.
«Aus dem Farbdiagramm ergibt sich die relative Stellung der einfachen und zusammengesetzten Farben innerhalb einer Skala, die den jeweiligen Rang durch die Teilhabe der Farbe am Licht bestimmt», wie es vornehm im Jargon der Neuplatoniker heißen würde, zu denen Aguilonius gerechnet wird. Bei ihm können zudem alle Farben, je nach dem beigemischten Anteil an Weiß und Schwarz, verschiedene Grade der Intensität aufweisen.
Mit dem rechten Diagramm deuten wir einen fortlaufenden Übergang von der durch die Folge der Farben gegebenen Aufteilung der Geraden zur Kontinuität des Bogens an, der Schwarz und Weiß verbindet. Farben laden auch zu geometrischen Spielen ein.
Das System des Aguilonius benutzt drei Grundfarben und erweist sich so als Vorläufer anderer Systeme, die auf die gleiche Weise operieren. Er verzichtet auf die vierte im reinen Bunde, das Grün, das schon bei Leonardo da Vinci Schwierigkeiten machte, allerdings nicht ohne ihr einen besonderen Platz einzuräumen. Wie das Rot (oben) steht das Grün in der Mitte (wenn auch unten). Die beiden Farben stehen sich also gegenüber, wie es sich gehört, und sie tun dies auf eine komplementäre Weise, wie Aguilonius unauffällig andeutet, indem er dem Rot eine Spitze (einen Punkt) zuweist, während das Grüne sich als Bogen ausdehnen kann. Das Diskrete steht dem Kontinuierlichen gegenüber, und wir verbinden sie durch das abgestufte Diagramm.
Datierung: Das Farbdiagramm entsteht 1613 im Rahmen eines Werkes über Optik.
Herkunft: Belgien
Grundfarben: Zwischen Weiß und Schwarz stehen Gelb, Rot und Blau.
Form: Bogen
Referenzsysteme: Pythagoras, Aristoteles, Platon — Newton — Goethe
Literatur: F. Aguilonius, «opticorum Libri Sex», Antwerpen 1613; J. W. von Goethe, «Geschichte der Farbenlehre», erster Teil, München 1963; F. Gerritsen, «Entwicklung der Farbenlehre», Göttingen 1984; John Gage, «Kulturgeschichte der Farbe: von der Antike bis zur Gegenwart», Ravensburg: Maier, 1994 (kommentierte Erwähnung).