Pythagoras, Aristoteles, Platon
Eine Interpretation der Lehre des
Die Wirklichkeit ist zwar voller Farben, aber Farben gibt es in der Wirklichkeit nicht. Die Farben, die wir sehen, hängen zwar von dem Licht ab, das durch die äußere Welt in unsere Augen gelenkt wird, doch Wahrnehmungen wie Rot oder Grün entstehen erst tief im Inneren des Gehirns. Farben sind also nicht nur «Taten des Lichts», wie Johann Wolfgang Goethe es genannt hat, Farben sind auch Taten des Ichs. Wir schmücken mit ihnen die Welt, und wir tun dies für uns.
Wir sehen und produzieren dabei eine unendlich scheinende Vielfalt an Farben. Sie ist so reichhaltig, daß wir nicht alle Nuancen und Töne benennen können, jedenfalls nicht ohne die Hilfestellung durch eine systematische Ordnung. Es ist also verständlich, wenn sich Menschen im Verlauf der Geschichte immer wieder darum bemüht haben, ein System für Farben zu erfinden. Wir werden hier einigen dieser Versuche nachgehen und dabei erfahren, daß es keine eindeutige und endgültige oder gar objektive Lösung der Aufgabe gibt, die Farben der Welt in einer übersichtlichen Konstruktion zu erfassen. Die Geschichte der Farbsysteme bleibt so offen wie die der Menschen selbst.
Farben sind Ideen, und während wir uns den Tafeln entlang von der klassischen Antike ausgehend auf die Gegenwart zubewegen, wollen wir ihre natürlichen Grundlagen und ihre geistigen Verankerungen kennenlernen. Dabei müssen wir nach und nach lernen, genauer mit den Wörtern umzugehen allerdings ohne ihre Vielfalt zu opfern. «Farbe» kann für den Physiker eine bestimmbare Wellenlänge und für den Maler eine leuchtende Substanz auf seiner Palette sein. Und wenn wir zu «Mischungen» übergehen, dann gibt es so viele Möglichkeiten, daß sich bald Fehldeutungen einstellen, wenn man nicht genau unterscheidet, was jeweils zusammengeführt wird. Rotes und grünes Licht zusammen liefern zum Beispiel eine andere Farbe als eine Mischung aus roter und grüner Aquarellfarbe.
Aristoteles war vermutlich der erste, der Farbmischungen untersucht hat (und dabei gescheitert ist). Er ließ das Tageslicht, das seltsam farblos wirkt (worauf noch einzugehen ist), durch ein gelbes und durch ein blaues Glasstück auf eine weiße Marmorwand fallen. Er beobachtete die zwei dabei entstehenden Flecken mit ihren Farben und hielt anschließend das blaue Glas zwischen Wand und gelben Scherben. Als Aristoteles dabei neben den Ausgangsfarben Gelb und Blau zusätzlich die Komponente Grün sah, zog er den Schluß, daß grünes Licht entsteht, wenn gelbes und blaues Licht gemischt werden.
Vorerst möchte man dieser Addition zustimmen, aber wer dann beginnt, sich über farbige Gläser Gedanken zu machen, stellt fest, daß er dem Licht, das hier durchläuft, eher etwas entziehen müßte. Bei jeder Durchquerung eines bunten Glases wird dem zunächst weiß wirkenden Licht der Sonne ein Anteil genommen (wie man heute mit den Mitteln der Physik genau nachmessen kann). Hat es sowohl die gelbe als auch die blaue Scherbe durchquert, bleibt nur noch jenes Restlicht, das vom Gehirn als grün empfunden wird.
Wir lassen die exakt erfaßbaren Teile der Farbenlehre an dieser Stelle erst einmal auf sich beruhen, um mehr zu den Konzepten der Griechen zu sagen, die von der Erfahrung leben, die die Sinne uns vermitteln. Die Welt wird organisch verstanden, und Farben entstehen aus dem täglich zu beobachtenden Kampf zwischen dem Dunkel der Nacht und dem Licht des Tages. Eine Ordnung der Farben muß also von Weiß nach Schwarz verlaufen, und wie bei jedem ersten Versuch probiert man zunächst die einfachste Möglichkeit, nämlich die gerade Linie. Die lineare Folge der
So einleuchtend dieses Schema des Aristoteles auch ist daß Rot auch weniger dramatisch als Mischfarbe von Schwarz und Weiß auftreten kann, zeigt zum Beispiel der rötliche Schimmer in einem Spiegel aus schwarzem Stahl, so kompliziert wirkt die «Erklärung der Farben», die
Will man diese Konstruktion aufzeichnen (
Platon hat kein Farbsystem konstruiert, und die vorgestellte persönliche Interpretation soll nur helfen, seine beschriebenen Mischungen nachvollziehen zu können. Eine Theorie der Farbe war der damaligen Zeit nicht möglich, obwohl sicher verstanden worden war, daß sich in den Farben «verborgene Dinge von Harmonie oder Kontrast» finden lassen, «die durch sich selber wirken, und die man durch kein anderes Medium ausdrücken kann», wie Vincent van Gogh 1882 es in einem Brief an seinen Bruder Theo ausgedrückt hat. Nach Harmonie hat man immer gesucht, und entsprechend viele Lehren sind auch überliefert. Bekannt ist dabei vor allem der Entwurf des
Datierung: Antike
Grundfarben: Pythagoras: Farben werden Tönen zugeordnet; Aristoteles: Farben im Tagesverlauf: Weiß, Gelb, Rot, Violett, Grün, Blau, Schwarz; Platon: Weiß, Schwarz, Rot, «Glänzendes»
Form: Aristoteles: Linie
Bezugssyseme:
Literatur: Aristoteles, «De sensu et sensato», «De anima», «Meteorologica»; Platon, «Timaios», 67D-68C in der Stephanus-Numerierung; A. T. Mann, «The Round Art», London 1979; Th. Lersch, «Farbenlehre», in: «Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte», herausgegeben vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte München, Band VII, München 1981.