Robert Grosseteste, erster Kanzler der Universität Oxford, interessierte sich ganz grundsätzlich und ohne praktische Absichten für das Phänomen der Farbe. Er sah Licht als «prima materia» und dachte sich eine Systematik der Farbe als Teil seines lichtmetaphysischen Weltbildes. Der Maler Leonardo da Vinci und der Architekt Leon Battista Alberti sind hier pragmatischer. Sie suchen ein geeignetes System für die Mischung von Malfarben. (Ausführlicher Text)
Bei Aristoteles benötigen wir sieben Farben, um die Extreme Schwarz und Weiß zu verbinden, wie er ausdrücklich in seiner Schrift «De sensu et sensato» anmerkt. Er gibt nicht immer dieselben Namen für die Stufen seiner Skala an — Grau kann zwischen Blau und Schwarz treten und dabei das Gelb am anderen Ende verdrängen -, aber es sind immer sieben Farben. Diese Anzahl finden wir ohne zugeordnete Namen wieder, als im frühen 13. Jahrhundert Robert Grosseteste, der erste Kanzler der Universität Oxford, ein Buch mit dem Titel «De colore» zu unserer Geschichte beisteuert und ihr eine neue Dimension gibt. Grosseteste hat die Schriften des Aristoteles übersetzt und ein eigenes Weltbild entworfen, das man eine «grandiose lichtmetaphysische Deutung» genannt hat. Das Licht liefert ihm als «prima materia» die erste körperliche Form, und der Raum ist eine Funktion des «lux», das in seinen Farben wahrgenommen werden kann.
Grosseteste ist dabei aufgefallen, daß Farben nicht nur durch ihre Farbigkeit oder ihre Buntheit festliegen — wir werden noch genauer angeben, was darunter zu verstehen ist -, zu den Farben gehört auch so etwas wie ihre Helligkeit oder ihr Weißsein. Ein helles, leuchtendes Rot ist von einem grauen, dunklen Rot sehr leicht zu unterscheiden und auch anders zu beschreiben. Grosseteste behält zwar die Achse Schwarz-Weiß bei, er entfernt sie aber aus der klassischen Geraden und dreht sie um einen rechten Winkel. Indem er seine sieben gleichwertigen Grundfarben zwischen dem Weiß («Lux clara» oder Albedo) und dem Schwarz («Lux obscura» oder Nigredo) spannt, öffnet er den Farbsystemen eine neue Dimension. Grosseteste stellt sich dabei vor, daß das Lux clara zu den Farben herabsteigt — durch einen Vorgang, den er «Nachlassen» («remission») nennt —, und daß das Lux obscura zu den Farben aufsteigt — durch einen Vorgang, den er «Bestreben» («intention») nennt.
Wir wissen nicht, welche sieben Farben er linear in der Mitte zwischen Albedo und Nigredo angeordnet sehen wollte, aber Schwarz und Weiß gehören vermutlich nicht dazu (Abbildung Interpretation). Dies bedeutet, daß Grosseteste zum ersten Mal zwischen den beiden Arten unterscheidet, die heute als Unbuntfarben (eben Schwarz, Grau und Weiß) beziehungsweise als Buntfarben (alle übrigen) gekennzeichnet werden. Daß diese Absonderung der — wie es manchmal auch heißt — eigentlichen Farben tatsächlich schwierig und umstritten war, zeigt ein Blick auf die immer noch lineare Skala der sechs «colori semplici», die wir um 1510 bei Leonardo da Vinci finden. Bemerkenswert an seiner geraden Ordnung ist allerdings die Reihenfolge der Buntfarben — Giallo, Verde, Azzurro, Rosso — also Gelb, Grün, Blau und Rot -, die sich vom antiken Muster abhebt und dabei der psychologischen Folge nähert, die heute etabliert und noch ausführlicher zu erläutern ist.
Leonardo interessierte sich bei seinen Bemühungen für die Farben als Maler, und er zögerte deshalb zunächst, das Grün mit aufzunehmen, da dies als Mischung aus gelben und blauen Pigmenten erhalten werden kann. Damit können wir zum ersten Mal auf eine Unterscheidung hinweisen, die für spätere Systeme wichtig werden wird, nämlich die Unterscheidung zwischen primären und (entsprechend) sekundären Farben. Welche dabei wozu gezählt werden, hängt sehr vom Autor der jeweiligen Farbenlehre ab und den Zwecken, die er damit verfolgt. Die Farbe Grün gehört sicher zu beiden Kategorien, denn physikalisch gesehen ist sie eine primäre, und maltechnisch verwendet — siehe oben — ist sie eine sekundäre Farbe. Wir werden noch oft auf Dichotomien dieser Art treffen, wenn wir weitere «Farbsysteme» ins Auge fassen. Farben kommen eben auf viele Weisen zustande und zusammen.
Als Leonardo über Farben nachdachte, kannte er die Anordnung, die sein Landsmann Leon Battista Alberti im Jahre 1435 vorgelegt hatte. Sie kommt mit vier (eigentlichen) Farben aus, die auf der Tafel ein Rechteck bilden — Gelb (Giallo, G), Grün (Verde, V), Blau (Blu, B) Rot (Rosso, R) -, das als Grundfläche für einen doppelten Kegel dient, an dessen Spitzen jeweils die unbunten Extreme sitzen (Abbildung Querschnitt). Offenbar ist man zu dieser Zeit von den sieben Farben abgekommen, die Grosseteste noch benutzt hat, und der Grund dafür liegt vermutlich in einer neuen Theorie, die im frühen 14. Jahrhundert über den Regenbogen aufgestellt worden war. Aristoteles hatte in der Antike zunächst nur drei Farben entdeckt, und die nannte er Rot, Grün und Blau. Andere Sichtweisen tauchten erst um das Jahr 1000 auf, als sich das Mittelalter mit optischen Experimenten befaßte. Schließlich faßte der Dominikaner Dietrich von Freiberg um 1310 viele seiner Beobachtungen in der Erkenntnis zusammen, daß es vier Farben sind, die sich vor dunklen Wolken über den Himmel spannen. Ihre Namen gab er mit Rot, Gelb, Grün und Blau an, und er sprach von primären «Mittelfarben», die alle untereinander gemischt werden könnten.
Wir finden hier die erste Form einer wissenschaftlichen Kenntnis von Farbe — auch wenn es noch bis ins 19. Jahrhundert dauern sollte, bis zwischen der Reflexion des Lichtes etwa von Oberflächen und der Brechung des Lichtes wie beim Regenbogen unterschieden wird — und die Farbtheoretiker der Renaissance konnten sie sich zunutze machen. Leon Battista Alberti wollte diesen Fortschritt dann nutzen, um ein geeignetes System für die Mischung von Malfarben aufzustellen. Er hat uns keine bildliche Darstellung seiner Ideen hinterlassen und nur ein paar Zeilen dazu in seinem Buch über Malerei («Della pittura») notiert, das 1435 erschienen ist. Wir rekonstruieren seine Anordnung nach den Vorschlägen des amerikanischen Kunsthistorikers Charles Parkhurst. Er arrangiert die vier Grundfarben zu einem geschlossenen System — zum Beispiel in einem Quadrat, an dessen Stelle aber auch ein Kreis genommen werden könnte -, weil sie als Malfarben paarweise gemischt werden können, was es dem Künstler erlaubt, alle Übergänge zu erzielen. Schwarz und Weiß bilden wieder ihre eigene Dimension aus, wobei zu allen vier erwähnten Buntfarben der gleiche Abstand eingehalten wird. (Da den vier «veri colori» bei Alberti vier Elemente entsprechen sollen, gibt es Probleme mit Gelb, das nicht geeignet zugeordnet werden kann und bei Alberti noch durch Grau ersetzt wird: Zum Feuer gehört Rot, zur Luft gehört Blau, zum Wasser gehört Grün und zur Erde gehört Grau. Wenn wir aber Gelb gegen Grau tauschen, können wir uns wieder auf Aristoteles berufen.)
Wenn die Rekonstruktion richtig ist, dann hätte Alberti an einen Farbenkreis gedacht und ihn erfunden — auf den ersten Blick wenigstens. Als aber Parkhurst gemeinsam mit seinem Kollegen Robert L. Feller der Frage nach der Erfindung des «color wheels» systematisch nachging, stellten beide fest, daß schon Grossetestes Schema räumlich zu verstehen ist, so wie es auf der Tafel gezeigt wird. Grosseteste hat in seinen Werken ganz allgemein angemerkt, daß aus dem Urlicht der ganze Kosmos entsteht, daß Naturphilosophie nicht ohne «Figuren» verstanden werden kann, und unter «figures» — so konnte nachgewiesen werden — hat er sicher dreidimensionale Gegenstände verstanden.
Der Gelehrte aus Oxford hat im übrigen keine besondere Anwendung der Farben vor Augen gehabt. Ihm ging es um eine allgemeine Theorie, und dazu hat er tatsächlich beigetragen, denn sein Grundkonzept, alle Farben in derselben Distanz zu Weiß und Schwarz anzuordnen, wird uns bis in das 20. Jahrhundert hinein wiederbegegnen. Grosseteste nimmt alle Systeme in Form von Doppelkegeln vorweg, die auf Farbtönen mit gleicher Helligkeit basieren. Nichts Neues also auch bei den Farben unter der Sonne? Schon, aber weniger an der Oberfläche. Die Geschichte der Farbräder — so stellten die beiden Amerikaner fest — scheint weder einen Anfang noch ein Ende zu haben, wie der Kreis der Farben selbst, den das Licht der Sonne zusammen mit unserem Auge möglich macht.
Datierung: Mittelalter und Beginn der Renaissance
Herkunft: Grosseteste: England; Alberti und da Vinci: Italien
Grundfarben: Robert Grosseteste: 7 (unbekannte) Grundfarben zwischen «Lux clara» und «Lux obscura»; Alberti: Gelb, Grün, Blau, Rot; Leonardo da Vinci: Weiß, Gelb, Grün, Blau, Rot, Schwarz
Bezugssysteme: Pythagoras — Aguilonius — Newton — Hayter — Chevreul — Field — Hering — Ebbinghaus — Astrologische Verbindungen — Ars magna — Islamische Tradition
Literatur: R. Grosseteste, «De colore», ca. 1230; L. B. Alberti, «Della pittura», 1435; L. B. Alberti, «Opere volgari», 3 Bde., hrsg. von C. Grayson, 1960 bis 1973; Ch. Parkhurst und R. L. Feller, «Who invented the Color Wheel?, Color Research and Application 7», 217-230 (1982); Th. Lersch, «Farbenlehre»; John Gage, «Kulturgeschichte der Farbe: von der Antike bis zur Gegenwart», Ravensburg: Maier, 1994, Seite 117-120.