Es bestehen viele Möglichkeiten, die bunte Folge der Farben so darzustellen, daß sich dabei geschlossene Figuren ergeben. Und es gehört zu den Grundphänomenen der Farbwahrnehmung, daß unser Gehirn die Vielfalt der Empfindungen zu einem Kreis ordnet, der beim Blau beginnen kann, über das Türkis zum Grün und weiter über das Grüngelb und Gelb in den Bereich des Orange führt. Ihn verläßt man zum Roten hin, um über Violett und Indigo zum Blau zurückzufinden. Man kann diesen Farbenkreis mit einem Hinweis auf die drei Rezeptoren im Auge und ihre Lichtaufnahme (Absorption) erklären. Wie eine genaue Analyse zeigt, registriert das für Rot zuständige Molekül in den Zellen der Netzhaut auch ein wenig blaues Licht, das zu dem Kontinuum der Wahrnehmung führt, das sich als Kreis der Farben niederschlägt.
Diese geschlossene Geometrie der Farbwahrnehmung erklärt uns zunächst die früh einsetzende Tendenz, die erste und sehr einfache Linienführung des Aristoteles zu einem Ring zu erweitern. In einem Kreis läßt sich nun die Folge der Farben auf zwei Weisen darstellen. Entweder man bewegt sich entlang des Umfangs, oder man durchschreitet ihn von Innen nach Außen. In den vorliegenden Abbildungen haben wir zwölf Farben gewählt, um ihre Reihenfolge mit der klassischen Anordnung der astrologischen Tierkreiszeichen in Verbindung zu bringen und so unsere Ansicht vorstellen zu können, daß auch diese Konstruktion als Farbsystem gelesen werden kann.
Die im Bereich Mesopotamiens, des antiken Kaldäa, aufkommende Astrologie war im Ursprung eine auf der Vergöttlichung der Gestirne basierende Religion. Später — in Griechenland — transformierte sie sich zunehmend in eine neue Wissensform, wobei der religiös-astrale Charakter beibehalten wurde. Sie wurde zu einer rationalen Erklärungsweise der Welt, die sich bestimmter Prinzipien, Maße und arithmetischer wie geometrischer Theorien bediente.
Die Astrologie knüpft Beziehungen zwischen den Gestirnsbewegungen und den natürlichen sowie den historischen Ereignissen. Von ihren Themen sind sehr vielen Religionen und Kulturen geprägt und sie spielen auch während der Renaissance eine wichtige Rolle für die Ausformung der westlichen Naturphilosophie. Später — nach dem Aufkommen der modernen Wissenschaften — fiel die Astrologie in Ungnade, wenngleich sie nach wie vor eine der am leichtesten greifbaren symbolischen Quellen unserer Kultur darstellt.
In der Astrologie werden die einzelnen Planeten auf die vier Elemente (Erde, Feuer, Luft und Wasser), die Tierkreiszeichen, die Körpersäfte, die Temperamente, die Zahlenkombinatorik, die Steine, die Düfte und die alchimistischen Lehren — welche die Formen des menschlichen Umgangs mit der Natur umfassen — bezogen. Auch die Farben sind Teil dieses Komplexes von Lehren. Jedem Tierkreiszeichen haben wir eine bestimmte Farbe zugeordnet (siehe auch Archéomètre): Rot entspricht dem Widder, Rot-Orange dem Stier, Orange den Zwillingen, Orange-Gelb dem Krebs, Gelb dem Löwen, Gelb-Grün der Jungfrau, Grün der Waage, Türkis dem Skorpion, Blau dem Schützen, Indigo dem Steinbock, Violett dem Wassermann und Rot-Violett den Fischen.
In der zweiten Zeichnung sind dieselben Farben radial dem Durchmesser entlang dargestellt gemäß dem Spektrum des Regenbogens. In den verschiedenen Kulturen ist der Regenbogen ein wichtiges Symbol der Verbindung von Himmel und Erde, und während in Indien Buddha über den siebenfarbenen Bogen hinuntersteigt, so hat der Regenbogen für die Chinesen nur fünf Farben. Genauso können die Farben der zwölf Tierkreiszeichen auf sieben (rot, orange, gelb, grün, blau, indigo, violett), auf sechs (blau, gelb, rot, orange, grün, violett) oder auf fünf Farben (rot, gelb, grün, blau, violett) reduziert werden, je nachdem welcher Tradition der Unterscheidung der Farben wir folgen. (Indigo beispielsweise kann als Farbton zwischen Blau und Violett betrachtet werden.) In der Genesis erscheint der Regenbogen nach der Sintflut als Symbol der Verbindung zwischen Gott und seiner Schöpfung. In den Glasrosetten der Kathedralen ist der Regenbogen wegen der kreisförmigen, quadratischen oder dreieckigen Aufteilung der Scheiben ein beliebtes Sujet und verweist auf die Tierkreiszeichen und die Farbgebung der einzelnen Planeten gemäß der mittelalterlichen westlichen Tradition.
Die beiden durch die Kreisform gegebenen Möglichkeiten der Bewegung — dem Radius entlang von innen nach außen und den Umfang herum — kann man in einer Spirale zusammenfassen, wie dies der deutsche Universalgelehrte Athansius Kircher (1602-1680) in seinem Wirbel mit sieben Bahnen getan hat. Er stellt «den alchimistischen Schlüssel nach den Aegyptern» dar und ist seinem Werk Oedipus Aegiptiacus (1652-1654) entnommen. Im alten Aegypten wurden die Eingeweihten Skarabäus genannt; diese Insekten schieben ihre Eier, ihre Nachkommen, vor sich her. Den Weg der Alchimisten beschreibt eine zweifache Spirale, welche die sich abwechselnden Prozesse der Lösung und der Gerinnung, der Expansion und der Kontraktion des Sphärenwirbels und die Phasen der «subtilen Energie» darstellt. «Der spiralförmige Weg der weltlichen Geister» führt von ihrem Ursprung ausgehend längs der Planetensphären bis zum Zentrum, wo sie sich vervollkommnen. Von hier aus öffnen sie sich, erhellen sich, sehen nun das Zentrum von außen, steigen die andere, direktere Spirale wieder empor bis zur höheren Welt und finden ihren göttlichen Ursprung wieder. Der Skarabäus stellt auch die prima materia, die Urmaterie der sieben Metalle dar, welche jede beliebige Form oder Farbe (Gold, Grün, Rot, Weiß, Schwarz, Himmelblau) annehmen kann, und so nach und nach die alchimistische Umwandlung erfährt. In der Zeichnung sind die Planeten koloriert, während sie es in der Orginaldarstellung nicht sind. Der fortlaufende Durchgang des Skarabäus verbindet die Farben in derselben Reihe wie im Farbenkreis, aber die spiralförmige Bewegung setzt die Farben in progressiv veränderliche Entfernung zum Zentrum, wodurch das Modell im Vergleich zur mechanischen Uniformität der Kreislinie an Komplexität gewinnt. Der doppelte Weg des Skarabäus, der längs der sieben Planetensphären in das leere, neutrale Zentrum führt und der von da aus auf direktem Weg zum Ausgangspunkt seiner Wanderung zurückkehrt, kann auch unter dem Gesichtspunkt der Expansion und der Kontraktion gelesen werden, beziehungsweise des langsamen Voranschreitens des Aufbaus und des schnellen Wandels in der Auflösung — das verführerische und umherschweifende Zögern, welches die Vielzahl der farbigen, durch die Planeten dargestellten Versuchungen kennt und andererseits die plötzliche Errungenschaft, die Intuition, die der Achse Hell-Dunkel entlang verläuft.
Angemerkt sei noch, daß Kircher sich — mehr als einhundert Jahre nach der Veröffentlichung von «De revolutionibus orbium caelestium» von Kopernikus im Jahre 1543 — an das geozentrische Schema des Ptolemäus hält, das aus dem 2. Jahrhundert stammt. In diesem Entwurf folgt der Sonne erst die Venus, dann der Mond und zuletzt die Erde. Kircher hat sein kosmologisches System, seine «Idea Hieroglyphica explicia» ein knappes Jahrzehnt nach der Formulierung seiner Farbenlehre vorgestellt.
Wir stellen noch die quadratische Anordnung der Planeten- und Tierkreiszeichen vor, die der Präsident des Parlamentes zu Bordeaux, Jean d’Espagnet, im Jahre 1651 vorgelegt hat. D’Espagnet verbindet in seinem Schema räumliche und zeitliche Elemente, indem er den klassischen Himmelssymbolen die Jahreszeiten zuordnet. Jede Jahreszeit besteht aus drei Zeichen des Tierkreises und findet in einem Kardinalzeichen (Widder, Krebs, Waage und Steinbock) ihren Anfang. Dadurch werden drei ineinandergefügte, rotierende Quadrate sichtbar, welche einmal mehr die Konstellation der Drei (Dreieck) plus Vier (Quadrat) thematisieren. D’Espagnets Darstellungsweise stellt auf effiziente Art eine Synthese aus der unveränderliche Stabilität des gerichteten Raumes und der kontinuierlichen zyklischen Abfolge der Zeit her. Sein System ist ein Ort der Koexistenz von Farbe und Geometrie, und an dieser Verbindung wird bis ins 20.Jahrhundert hinein festgehalten.
17. Jahrhundert