Symbolik
Farben fallen auf, und Menschen fallen durch Farben auf. Wir erbleichen, wenn wir einen Schrecken bekommen, wir erröten, wenn wir verliebt sind oder ertappt werden. Farben werden seit alters her gedeutet und benutzt, um Stimmungen oder Neigungen mitzuteilen. Die den Farben gegebene
Der französische Baron Frédéric Portal (1804-1876) unternimmt in seinem Werk mit dem Titel «Des Couleurs Symboliques dans l’Antiquité, le Moyen-Age et les Temps Modernes» den Versuch, die
Portal bezieht sich in seiner Analyse auf die ägyptischen Religionen, auf die alte iranische Religion der mosaischen Tradition, auf das Judentum und weitere im Mittelmeerraum entstandene Religionen sowie auf die mittelalterliche Kultur. Seine Quellen umfassen aber auch verschiedene östliche — chinesische und indische — Traditionen. Der Autor beschreibt den symbolischen Wert der Farben und die Regeln ihrer Komposition beziehungsweise Opposition, wobei er ein auf drei Grundelementen aufgebautes Schema variiert: Dieses Grundschema umfaßt die «göttliche Sprache», die sich an alle Menschen richtet und die göttliche Existenx als solche offenbart; im weiteren die in der Nähe der kultischen Stätten entstandene «heilige Sprache», welche die Symbolik der Architektur, der Bildhauerei und der Malerei wie auch die religiösen Zeremonien und Paramente der Priester vorgibt; und die auf der untersten Stufe befindliche «profane Sprache» — stofflicher, das letzte Echo der ewigen Wahrheit widerhallender Ausdruck der Symbole. Diesem «Sprachen-System» folgend, verfaßt Portal sein Schema der Sprache der symbolischen Farben, wobei er großen Wert auf die Kenntnis ihrer «grammatikalischen Regeln» — ihres Stils — legt.
Am Anfang steht das fundamentale Prinzip von Licht und Dunkelheit, welches die beiden Farben Weiß und Schwarz repräsentieren. Weiß ist hierbei kein eigentliches Pigment, bezieht es sich doch auf die Emanation, das «Ausfließen» des göttlichen Lichtes, das von der Sonne stammt und daher besser mit Strahlendweiß umschrieben ist. Das Schwarze gilt als die Negation der Farben, ist Produkt der Verbrennung und mit dem Geist der Finsternis verbunden. Dieses duale Prinzip ist dem Göttlichen eigen und befindet sich daher außerhalb der eigentlichen drei Ebenen der Farben:
Licht existiert — in der Vorstellung Portals — nur durch das Feuer, dessen Symbol das Rote ist. Rot und Weiß besetzen denn auch die erste Ebene, den Ort der Liebe, der Sehnsucht, des Willens — der «Existenz in sich». Weiß bedeutet die göttliche Weisheit, während Rot als Symbol der göttlichen Liebe gilt. Aus diesen beiden Attributen Gottes leitet sich die Schöpfung des Universums ab und folglich auch die zweite Ebene. Hier manifestiert sich das Leben, hier waltet die Vernunft. Als Farben gehören Gelb und Blau zur zweiten Ebene die symbolisch für die Intelligenz und das Wort stehen. Gelb ist die Offenbarung der Liebe («la revélation de l’amour») und der Weisheit Gottes («la sagesse de Dieu»), während Blau deren Manifestation im Leben («manifestée par la vie») symbolisiert. Aus der Vereinigung von Gelb und Blau entsteht Grün, welches der dritten Ebene angehört, der Ebene der Verwirklichung und der Tat. Grün ist die Manifestation der Liebe und der Weisheit, wie sie sich in den Taten und Handlungen zeigen. Grün symbolisiert die Barmherzigkeit und die Erholung der Seele («la regéneration de l’âme») durch Tun und Wirken.
Auf all diesen drei Ebenen, die, wie der Kreis darstellen soll, in die zeitliche Existenz eingefügt sind, kann die Farbe ihrerseits in drei verschiedenen Dimensionen leben — in der göttlichen Welt, in der geistigen Welt und in der natürlichen Welt — je nachdem zu welcher Erfahrung von Körpern sie gehört. Die göttliche Welt ist den strahlenden Körpern eigen (das Licht entströmt ihrem Innern), die sprirituelle Welt ist den lichtdurchläßigen Körpern eigen, in welchen sich das eindringende Licht bricht und — nachdem es das Innere der Körper erforscht hat — wieder ausgesendet, reflektiert wird. Es ist die Welt der Edelsteine und Perlen, der glänzenden Gegenstände, die so am göttlichen Licht teilhaben: die Welt der Volumen. Die natürliche Welt ist diejenige der matten, undurchsichtigen Körper, zu deren Natur das Licht nicht gehört und die das Licht reflektieren, ohne daß es in das Innere des Körpers vorgedrungen wäre: die Welt der Oberfläche.
In Portals System herrschen zwei Regeln: die Regel der Komposition und die Regel der Opposition. Bei der ersten erhält man aus den fünf Farben — Weiß, Rot, Gelb, Blau und Grün — die Mischfarben Rosa, Purpur, Hyazinth, Violett und Grau. Diese Farben erhalten ihre spezifische Bedeutung aus der Kombination der Bedeutungen jener Farben, aus welchen sie entstanden sind. Die dominante Farbe liefert hierbei die Bedeutung, während die dominierte Farbe eigene Modifikationen beifügt. Zum Beispiel ergeben Rot (Liebe) und Blau (Wahrheit) Purpur (Liebe zur Wahrheit, Wahrheitsliebe). Wird Schwarz mit den anderen Farben vereint, kehren sich deren Merkmale in ihr Gegenteil: Rot, die göttliche Liebe, wird — gemischt mit Schwarz — zum Symbol der höllischen Liebe, des Egoismus, der «niederen» Leidenschaften. Die Regel der Opposition bezieht sich nicht, wie zu erwarten wäre, auf ein Verhältnis zweier Farben, sondern beschreibt vielmehr den dualen Charakter ein und derselben Farbe. Die Regel der Opposition ist der Sprache der Farben wie der Symbolik im allgemeinen verwandt. So wie in der Genesis die Schlange nicht nur den Messias und die Weisheit, sondern auch den bösen Geist verkörpert, so bedeutet Rot sowohl die Liebe als auch den Egoismus; Grün kann für die Auffahrt in den Himmel oder den Fall in die Hölle stehen — für die Weisheit oder den Wahnsinn.
In der großen Darstellung sehen wir im Inneren des Kreises, der die beiden ersten Ebenen umfaßt, die geometrische Figur der Lemniskate — einer Kurve höherer Ordnung von Cassini. Diese spezifische Kurve trennt und verbindet gleichmaßen, der Punkt, in welchem sie sich selbst schneidet, ist ein doppelter. Die Lemniskate verbindet die Farben und betont gleichzeitig die unterschiedlichen Ebenen, auf denen sie sich befinden. Ihre Eigenartigkeit liegt in der Verbindung von Kugel und Zylinder — der Verbindung der göttlichen Fülle (ausgedrückt in der Kugel, die von ihrem Zentrum geheiligt wird, welches sie seinerseits beschützt) mit der Tragödie des Zylinders, dessen Zentrum geometrisch in der Unendlichkeit liegt, und der damit dazu bestimmt ist, ewig zu führen, aber nie zu dauern. Dem Zylinder als Wegweiser entspricht auf der symbolischen und spirituellen Ebene die Kirche, jene von Menschen erschaffene Organisation, in welcher sich die Göttlichkeit manifestiert, deren eigene Bestimmung aber eine provisorische und zeitliche ist.
Eine zweite Darstellung verdeutlicht die
Datierung: unbestimmt
Literatur: F. Portal, «Des Couleurs Symboliques dans l’Antique, le Moyen-Age et les Temps Modernes», Paris 1957; R. Gross, «Warum die Liebe rot ist», Düsseldorf 1981.