Chinesische Tradition
In der Tradition Chinas gibt es kein Farbsystem in dem Sinne, wie es ein westliches Lexikon definieren würde. Als man in der westlichen Welt zum Beispiel
Mensch, Gesellschaft und Welt sind in der chinesischen Tadition gleichermaßen Objekte eines globalen Wissens, und dieses Wissen umfaßt sowohl den Makrokosmos als auch die einzelnen in ihm enthaltenen Mikrokosmen. Für die Chinesen existieren keine Gesetze, sie kennen ausschließlich Modelle, und diese Unterscheidung ist zentral, will man vom westlichen Denken her die chinesische Kultur erschließen. So ist die westliche Vorstellung eines von der Materie getrennten Geistes ist für die Chinesen undenkbar. Das Universum ist nur ein System von Verhaltensweisen, und diejenigen des Geistes unterscheiden sich nicht von jenen der Materie.
Entsprechungen sind für das chinesische Denken von elementarer Bedeutung, und da es so viele Entsprechungen gibt, müssen sie katalogisiert werden. Das führt dazu, daß Bereiche eng miteinander verbunden werden, die im westlichen Denken gerade streng getrennt sind: kosmische und soziale Ordnung, Philosophie und Medizin, Geographie und Nahrung, Künste und Jahreszeiten. Für ein Wissen, das sich an Entsprechungen orientiert, ist die Analogie von großer Bedeutung: Kontraste werden Gegensätzen vorgezogen. Im Zentrum stehen die Wechselseitigkeit der Begriffe (Alternanz) und die Bezugsmuster zwischen den Begriffen (Korrelation), eine «Götterhochzeit» im Sinne des Austausches menschlicher und göttlicher Attribute. Farben sind in der
In der Darstellung sind die fünf Grundfarben der chinesischen Tradition ihren Entsprechungen gemäß angeordnet:
Rot: Das Feuer, welches in die Höhe strebt entspricht gemäß den traditionellen chinesischen Himmelsrichtungen dem Süden und fällt mit der warmen Jahreszeit, dem Sommer, zusammen.
Schwarz: Das Wasser, das in die Tiefe strebt, steht im Norden. Seine Jahreszeit ist der Winter, welcher gekennzeichnet ist von der Abwesenheit von Wasser, welches sich zu dieser Zeit in den nördlichen «Untiefen der Welt» sammelt.
Grün: Das Holz steht im Osten, bezogen auf den Frühling. Seine Farbe ist grün und umfaßt die pflanzliche Welt.
Weiß: Im Westen das Metall, seine Jahreszeit ist der Herbst und seine Farbe Weiß mit einer zeitweiligen Blautönung. Übrigens sind im Farbsystem der chinesischen Tradition Schwarz und Weiß in Unterscheidung zu den westlichen Farbsystemen Teil desselben Kreises.
Gelb: Die Erde hat im Kanon der fünf Elemente tragende und stützende Funktionen, damit auch die Funktion des Ursprungs und der Nahrung: Die Pflanzen sprießen aus der Erde, das Feuer bricht aus ihr hervor, die Metalle treten in den Minen zutage, das Wasser entspringt den Quellen. Die Erde ist das Zentrum, ihre Farbe ist Gelb, ihr Geschmack das Süße und ihr Geruch der parfümierte. Dieser Entsprechung entstammt die Definition der Menschen als gelbe Rasse, der Bewohnerin eben dieser Erde.
In einer zweiten Illustration sind zwei
In der unteren der beiden kleineren Zeichnungen ist das System der Generation verdeutlicht. Dessen Diener Cheng ist ein «Aufbauer» (ein Anaboliker) und seine Charakteristik die Kontinuität. Kraft dieses Dieners ist jedes Element Erzeuger des darauffolgenden und gleichzeitig vom vorangegangenen abstammend (ist Mutter oder Vater des folgenden und Sohn bzw. Tochter des vorhergegangenen Elements). Im System der Entsprechungen erzeugt jede Farbe, jedes Tier oder jede Jahreszeit die nächste, wobei sie die Essenz der vorangegangenen weiterträgt:
Die gepanzerten Tiere wie die Schildkröte, welche dem Norden, dem Wasser und der Farbe Schwarz entsprechen, zeugen die Schuppentiere, z.B. die Drachen, welche immer grün sind, da sie zum Holz gehören und im Osten stehen. Die Schuppentiere ihrerseits zeugen das Federvieh, welchem der Süden und die Farbe Rot zugeordnet ist. Diese wiederum zeugen die Tiere mit einem Fell wie den Tiger oder das Pferd, welche dem Westen, den Metallen und der Farbe Weiß zugehörig sind.
Das Wasser läßt das Holz sprießen, das Holz nährt das Feuer, das Feuer (die Asche) düngt die Erde, die Erde reichert Metall an, das Metall zeugt das Wasser.
Auf der oberen Zeichnung ist das Prinzip der Herrschaft dargestellt. K’ev, der Diener der Herrschaft, ist im Gegensatz zu Cheng ein Abbauer (ein Kataboliker), seine Charakteristik die Mässigung. In diesem Prinzip dominiert jedes Element ein anderes: Die Erde saugt das Wasser auf, das Wasser löscht das Feuer, das Feuer schmilzt das Metall, das Metall spaltet das Holz. Die Abfolge kann nun keine kontinuierlich mehr sein, wie beim Prinzip der Generation, sondern nur eine alternierende. Die daraus entstehende Figur nimmt die Form eines sternförmigen Fünfecks mit asymmetrischem Zentrum an. Diese Darstellungsweise verdeutlicht die dem chinesischen Denken implizite Asymmetrie. Dieses Denken zieht einer Struktur der Stabilität das Prinzip der Bewegung vor.
Für ein Verständnis des traditionellen chinesischen Farbsystems fehlt noch ein wesentliches Element: der chinesische Begriff Ts’ing. Ts’ing bezeichnet einen bestimmten Zustand von Farbe, genauer gesagt von zwei Farben: Grün und Blau. Im Chinesischen umfaßt ein einziger Begriff die Bezeichnungen von Blau und Grün — eben Ts’ing. Parallel zu diesem Begriff existieren aber noch zwei weitere, Lu für Grün und Lan für Blau. Die Chinesen haben selbstverständlich keine Probleme, Grün und Blau zu unterscheiden, wie der Begriff Ts`ing glauben machen könnte. Ts’ing meint etwas Raffinierters — ein bestimmtes Blau und ein bestimmtes Grün in einer bestimmten Jahreszeit unter einem bestimmten Himmel. Ts`ing ist jenes Grün und jenes Blau, welches man in der sprießenden Natur findet, es ist ein Grünblau, das sich auf das Holz und demzufolge gleichzeitig auf den Osten und den Frühling bezieht. Die Charakteristik von Ts’ing ist Teil jenes Systems, welches die Elemente, die Himmelsrichtungen, die Tiere, die menschlichen Körperteile usw. verbindet. Ts`ing gibt die Idee des Reinen, Leichten und bezeichnet alles, was zart, hell, klar und fein ist. Die Charakteristik von Ts`ing bezeichnet bezüglich der Farben das dynamische Element, während Lu und Lan den statischen Aspekt von Grün und Blau darstellen. Ts’ing ist die Bewegung, die beiden anderen bezeichnen die reine geometrische Anordnung der Farben. Blau und Grün beinhalten ein Zweifaches — sie sind doppelwertig, aber nie doppeldeutig.
Die fünf Farben tragen dazu bei, die Welt zu organisieren und in die kosmische Harmonie einzufügen. Das System der Welt suggeriert die Vorstellung der Kombination der Kräfte oder Einflüsse, und derselbe Mechanismus, dasselbe Spiel, läßt sich gleichermaßen auf die physische und die soziale Welt übertragen. Die Beziehungen zwischen den fünf Farben können, je nach Wahl ihrer Abfolge, verschieden dargestellt werden — die Figur, die so entsteht, ist entweder ein konvexes oder ein sternförmiges Fünfeck.
Es stellt sich die Frage, ob die chinesische Sprache Begriffe für die farblichen Zwischentöne kennt. Diejenigen, die es gibt, sind Indiz einer historischen Verarmung der Wahrnehmung der Dingwelt zugunsten einer Verdichtung um die fünf Grundfarben. Dem Ts’ing entspricht nun aber nebst Grün auch Gelb. Diese
Datierung: unbestimmt
Literatur: J. Needham, «Science and Civilisation in China», Cambridge University Press; Collin A. Ronan, «The shorter Science and Civilisation in China», Cambridge University Press, ab 1978; Institut für Geschichte der Naturwissenschaften der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, «Wissenschaft und Technik im alten China», Birkhäuser, Basel 1989.